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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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begann mit zwei Pints an einem Nachmittagstisch. Abgesehen von drei stumpfen Blicken war der Club leer. Die Stimme aus dem Fernseher, ein Hurling-Match, der dumpfe Aufprall der Billardkugeln im Nebenzimmer. Dann ging ich ins »Busy Bee« und in »Hanlon’s Corner«. Jedes Mal kippte ich einen kleinen Wodka an der Theke, wie in Eile. Gab einem Freund zwei Bier aus, ohne anzustoßen, und spendierte einem Unbekannten ein weiteres. Ich setzte auf die Gerüchteküche.
    »Tyrone Meehan hat die Taschen voller Geld!«
    »Wo hast du die Kohle her, Meehan?«
    »Knisternde Scheine! Nicht diese Lappen, die es beim Arbeitsamt gibt!«
    Sie hatten mir 30 Pfund gegeben. Dreißig Silberlinge, ein Judas-Lohn. Das war bestimmt Absicht. Ich hatte beschlossen, mich schnappen zu lassen. Oder zu sterben. Ich könnte von der Albert Bridge in den Lagan springen – ich bin Nichtschwimmer. Oder mit dem Auto unterwegs nach nirgendwo nachts in eine Felswand rasen. Oder trinken, immer mehr trinken, bis mein Herz zu schlagen aufhört.
    Ich erblickte mein Spiegelbild über dem Tresen. Ich hatte die Mütze auf wie ein Schafzüchter, der einen Verkauf feiert. Sterben? Armseliger Bauer. Die Armen haben keine Zeit für solche Gedanken. Ich sah meine hängenden Augenlider, die graue Mähne, diese Ohren, die Falten von der Arbeit. Betrachtete den verzogenen Kragen meiner Tweedjacke, den abgenutzten Stoff, mein offenes Hemd. Besichtigte meine Niederlage. Nach vorn gebeugt, schaute ich Patraig Meehanin die Augen. Sah auf einmal ihn im Spiegel. Und die Leere um ihn herum, das Schweigen, wenn er näher kam, den Respekt, die Beklemmung. Das Holz, das Kupfer, die Wärme, die goldene Dunkelheit des »Mullin’s« in meinem Heimatdorf. Mein Vater war wiedergekehrt, als Teil von mir. Er grinste wie ein Idiot, prostete seinem Spiegelbild mit meinem Glas zu. Versuchte, die Haltung eines Nüchternen einzunehmen. Schwankte. Mitleiderregend. Er hatte auf seinen Krieg verzichtet, auf Spanien, die Republik, sein Leben. War über unsere Winterwege fortgegangen, Steine und Erde in den Taschen. Er wollte im Meer sterben und erfror am Straßenrand. Er hatte die Möwen gerufen, doch die Polizei verjagte die Raben. Er hatte nichts mehr, war weder Vater noch Kämpfer. Nur ein Lumpenbündel im Raureif.
    Also verzichtete ich aufs Sterben. Und aufs Leben. Ich würde woanders sein, zwischen Himmel und Erde. Und auf alles scheißen! Die Briten, die IRA und ihre Befehle! Ich war den Krieg so leid, die Helden, die erstickende Gemeinschaft. Ich war müde. Müde des Kampfes, der Demonstrationen, der Gefängnisse, der Heimlichkeit und des Schweigens, müde der von Kindheit an wiederholten Gebete, müde des Hassens, des Zorns und der Angst, müde unserer erdigen Haut, unserer löchrigen Schuhe, unserer innen feuchten Regenmäntel. Mein Bruder Séanna brüllte mir in die Ohren. Ich übernahm die Parolen seiner Entwaffnung Wort für Wort. Was hatte sie denn für mich getan, die Republik? Die Schönen, die Großen, die Wahren, die Tom Williams und Danny Finleys, waren mit unserer Jugend gestorben! Und all diese Männer mit Krawatte und Rundhalskragen, die Connollys und Pearses, hatte man mit unseren Geschichtsbüchernbegraben! Wir waren Kopisten, Nachahmer ihres Ruhms. Spielten pausenlos die alten Lieder ab. Mit Seele, Haut und Ziegelsteinen standen wir herzlosem Stahl gegenüber. Wir würden verlieren. Wir hatten schon verloren. Ich hatte verloren. Und ich würde Irland kein weiteres Leben opfern.
    »Kevin? Schenkst du mir noch ein letztes Glas ein, bevor du deinen verdammten Eisenvorhang runterlässt?«
    Betrunken und nervös ging ich schlafen. Am nächsten Morgen stand mein Entschluss fest, wie ich sie von Mickey ablenken könnte. Ich würde ihnen einen Tipp geben. Einen unwichtigen, aber einen Tipp. So würde ich sie vielleicht loswerden. Und ihn retten. Ich musste meinem Verräterjob nachkommen. Bevor der Tag zu Ende wäre, würde ich die Schwelle überschritten haben. Es war wie ein Eid auf die Republik. Ein Weg ohne Wiederkehr. Ich hatte ihn eingeschlagen und würde mich verlaufen. Für Fragen und Zweifel war es zu spät. Auch für Antworten.
    Seit einer Woche war Jack aus der Isolationshaft entlassen. Er war wieder bei seinen Freunden und in seiner Zelle. Ein Geschenk von Meister Waldner an seinen Spitzel Tenor. Und ich hatte ihm dafür gedankt.
    »Bist ein feiner Kerl«, hatte der rothaarige Cop auf dem Heimweg von Paris zu mir gesagt.
    Das war’s. Ein Dreckskerl ist vielleicht

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