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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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ein feiner Kerl, der aufgegeben hat.
    *
    Ich traf Waldner auf dem Friedhof. Und nannte ihm die Poolbeg Street 23. Er lehnte an der Wand, sein Blick schweifte über die Gräber. Er hatte ein Bukett dabei und bat mich, es für ihn auf das Grab von Henry Joy McCracken zu legen.
    Die Hausnummer 23 war ein Gelegenheitsversteck. Fast eine Ruine, in der früher Waffen und Geld gelagert wurden. Vor vier Monaten hatten wir sie geräumt. In der Straße war zu viel los, das Haus war zu exponiert. Kinder aus dem Viertel stiegen durch das zerbrochene Fenster ein, um dort heimlich zu rauchen. Eines Abends überraschten zwei von unseren Leuten einen Jungen, der den Kamin durchwühlte. Er hatte eine unserer Pistolen und Munition gefunden. Als sie kamen, ließ er seine Beute fallen und haute ab.
    Waldner beobachtete mich. Mir gefiel sein Lächeln nicht.
    »Poolbeg Street 23?«
    Ja, in Lower Falls. Er nickte. Das kannte er. Er nahm meinen Arm. Wir gingen zwischen den Gräbern hindurch wie alte Freunde. Er erzählte mir die Geschichte von Damian Bray, einem fünfzehnjährigen Jungen, der in dem Viertel Haschisch rauchte. Und es weiterverkaufte, um sich sein Taschengeld zu verdienen. Zusammen mit zwei älteren Freunden besorgte er den Stoff in Dublin, nähte ihn sich ins Futter seines Parkas ein und spielte Grenzgänger.
    »Keine großartige Sache, weißt du. Hundert Gramm da, zweihundert Gramm dort. Keine Mafia, aber nützlich für uns.«
    Er blieb am Grab von McCracken stehen. Überreichte mir das Bukett.
    »Eines Tages wurde Bray verhaftet. Er hat vor Angst gekotzt.«
    Ich kniete nieder und legte die Blumen auf das Grab.
    »Eine sehr löbliche Familie, die Brays. Der Vater in Long Kesh, ein Bruder bei der IRA. Waschechte Republikaner, außer ihm. Er war einer von denen, die ›IRA=Cops‹ an die Wände schreiben. Du weißt, was ich meine?«
    Ich wusste es.
    »Also haben wir ihm einen Handel angeboten. Sein Gras war uns egal. Das bisschen Dealen auch, aber wenn er nach der Vernehmung freikommen wollte, müsste er uns was dafür geben. Ungefähr so wie du, verstehst du?«
    Der MI5-Agent ging langsam weiter.
    »Und soll ich dir was sagen? Er hat uns eine Adresse gegeben. Und du weißt jetzt bestimmt auch, welche.«
    Ich schwieg.
    »Er hat dort nach einem Versteck für seinen Scheiß gesucht und eine Knarre gefunden. Die IRA hat ihn überrascht, und er ist weggelaufen. Irre, wie diese Jungs euch hassen.«
    »Was willst du mir damit sagen?«
    »Dass die IRA mit ihrer Art, sich in den Vierteln als Polizei aufzuspielen, sich echte Feinde unter den Kleinkriminellen gemacht hat. Bei uns gibt’s Richter, bei euch eine Kugel ins Knie. Da sind ihnen die Briten letztendlich lieber.«
    »Warum erzählst du mir das?«
    »Warum? Na, weil wir nach dem Geständnis des Jungen die Nummer 23 unter Beobachtung gestellt haben, Tyrone. Und gesehen haben, wie deine Leute vor mehreren Monaten alles weggeschafft haben. Seitdem ist es dort leer. Nichts mehr. Verlassen.«
    Er blieb an der Pforte stehen.
    »Kann es sein, dass du uns vielleicht verarschst?«
    »Die 23 wurde nie überwacht. Das stimmt nicht. Niemand ist verhaftet worden!«
    »Wen sollten wir denn verhaften? Die drei Fianna und den armen Trottel, der dort aufgeräumt hat? Wir wollen der IRA nicht billig kleine Helden fabrizieren, sondern ihr einen Schlag versetzen!«
    Er ließ einen Umschlag in meine Tasche gleiten. Ich protestierte nicht.
    »Bis bald, Meehan. Ruf an, wann du willst.«
    Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um.
    »Übrigens, Mickey hat geredet. Und weißt du was? Er hat den Namen des nächsten Wärters auf der Liste preisgegeben, den Ort der Operation, einfach alles.«
    Er beobachtete mich.
    »Und dann … Es tut mir leid, aber er hat auch deinen Namen genannt. Und den deines Sprengmeisters. Weißt du? Der bei dem Treffen nicht hätte dabei sein sollen.«
    Regen begann, den Himmel reinzuwaschen. Er schlug seinen Kragen hoch.
    »Jedenfalls hattest du recht, ihn rauszuschmeißen. Es ist Aufgabe des Chefs, für die Einhaltung der Regeln zu sorgen.«
    *
    Martin Hurson starb am 13. Juli 1981 im Alter von fünfundzwanzig Jahren nach sechsundvierzig Tagen Hungerstreik. Kevin Lynch, auch fünfundzwanzig, nach einundsiebzig Tagen. Und Kieran Doherty, sechsundzwanzig, am Tag darauf, dem dreiundsiebzigsten Tag des Hungerstreiks.
    Franck »Mickey« Devlin wurde fünf Tage im Verhörzentrum von Castlereagh gefoltert. Sie hinderten ihn am Schlafen, ließen ihn stundenlang nackt mit

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