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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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königlichen Polizei Anzeige erstattet. Und Mickey angegeben.
    Die Stadt wirkte wieder einmal wie ein trauriger Rabe. Der Himmel, die Blicke, alles stank nach Trauer. Trauer um Mickey, um seine Frau. Auch ich war traurig. Zum ersten Mal wurde mir das Know-how der Briten ekelerregend bewusst. In jedem Gespräch, jedem Blick, jedem Schweigen tauchte das Grauen der Folter auf. Aber eben auch, trotz allem, dass Mickey nicht durchgehalten hatte. Er hatte geredet. Die Briten hatten es verlautbart. Ihre Zeitungen hatten sich darauf gestürzt. Waldner schützte mich. Der Cop schützte mich. Sie hatten den Verdacht abgelenkt. Franck Devlin war erst einen Monat, nachdem ich seinen Namen genannt hatte, verhaftet worden. Eine Ewigkeit. Ich war kein Verräter. Ich war erschöpft. Und gönnte mir eine Atempause. Eine letzte Illusion der Unschuld.
    In dem dritten Umschlag, den ich am 5. August bekam, waren dreihundertfünfzig Pfund und zwei Flugtickets nach Paris. Ein Vorschuss, um meine erste Reise zu bezahlen. Ich sollte »Honoré« am Landungssteg der Bateaux-Mouches treffen. Ich hatte ihn nur einmal gesehen, bei meinem ersten Besuch in Frankreich mit Sheila und dem falschen Polizistenpaar. Er war ein waschechter Engländer. Nicht einmal ein grimmiger Protestant von zu Hause. Er sah mich an, wie man einen Verräter ansieht. Er schüttelte mir nicht die Hand. Er blieb nur auf ein Bier und starrte auf mein rosa Dreieck. Mit dem MI5-Agenten und dem Cop ging er auch nicht freundlicher um. Er war jung, kaum fünfunddreißig. Kannte Belfast nur von einemHubschrauberflug über der Stadt. Musterte mich eingehend. Nur die Sinn Féin interessiere ihn, nicht die IRA. Unsere Partei, nicht unsere Armee. Für Bomben seien die da zuständig, sagte er und deutete mit dem Kinn auf die beiden anderen.
    »Ich kenne mich mit Politik nicht gut aus«, antwortete ich.
    »Du weißt, wer was denkt in deiner Partei. Welcher Anführer an Boden verliert oder an die Macht kommt. Das weißt du doch, Tenor?«
    Ich zuckte die Schultern. Ja, natürlich. Das wusste ich.
    »Das interessiert mich, weißt du. Und da es für mich nicht so leicht ist, zu euren Versammlungen zu kommen …«
    Dann stand er vom Tisch auf und verabschiedete sich, indem er seine eingerollte Zeitung an die Schläfe führte.
    Ich mochte ihn nicht. Er hatte sich gewaltsam Zutritt zu meiner Geschichte verschafft. Der Cop und der MI5-Mann wirkten dagegen fast beruhigend auf mich. Wir hatten nun eine gemeinsame Geschichte. Sie kannten meine Art und ich ihre. Wir hatten einander alles gesagt. Es gab kein Verständnis zwischen uns, aber auch keinen Hass. Der Cop hatte einmal zu mir gesagt, er würde meine Ideen bis zum Tod bekämpfen, aber er respektiere sie. Und Waldner gestand mir, als er mir die Tickets nach Paris gab, dass er mir gern anderswo begegnet wäre und zu einer anderen Zeit. Logen sie? Beide? Wahrscheinlich. Was sie sagten, war vielleicht dazu gedacht, mich einzulullen, vielleicht stand so etwas auch in ihrem Handbuch für Informanten. Mir war das egal. Ich war ein Gefangener, lebenslänglich zum Lügen verurteilt, und diese beiden Wärter demütigten mich wenigstens nicht in meiner Isolation.
    Honoré gehörte nicht zu dieser Geschichte, nicht einmalzu diesem Feind. Er war ein Schafdieb, der ein offenes Gatter nutzte. Er hatte sich nach den anderen herangemacht, um mich wie eine Orange auszuquetschen. Ein blasser Botschaftsbeamter. Tinte an den Fingern, kein Blut. Ich stellte mir vor, wie er im Schein seiner Schreibtischlampe Organigramme zeichnete, die Zungenspitze zwischen den halb geöffneten Lippen. Für ihn war unser Land eine Grafik, unser Kampf eine Statistik. Er sah in uns keine Frauen und Männer, sondern Laborratten. Der Cop zielte mit seinem Gewehr auf uns, Honoré beobachtete uns unterm Mikroskop. Er nannte mich Tenor. Hoffentlich wusste er nichts über mich, über Danny und dass es Jack und Sheila gab. Hoffentlich blieb ich anonym. Das Synonym eines Verräters. Ein Codename.
    Er würde mich bestimmt dazu bringen, Paris zu hassen.

18
    Killybegs, Dienstag, 2. Januar 2007
    »Reicht das?«, fragte Antoine.
    »Es reicht nie«, antwortete ich.
    Der kleine Franzose war schwer mit Holz beladen. Er trug die feuchten Äste wie ein Junge aus der Stadt. Nachts hatte es geschneit und der Morgen hatte Raureif gebracht. Ich beobachtete, wie er sich über einen Stamm beugte, als hätte er Angst, seine Kleidung zu ruinieren. Ich drehte einen alten Baumstumpf um, er hob den Kopf, und

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