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Rückkehr nach Killybegs

Rückkehr nach Killybegs

Titel: Rückkehr nach Killybegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sorj Chalandon
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einziger anderer Blick begegnet sei? Ob ich irgendeine Vorstellung von Rom oder von Brüssel habe? Ob ich in meiner Straße schon mal nach links oder rechts geschaut habe? Er traf ins Schwarze. Damals hatte ich Belfast noch nicht für Paris verraten. Wir saßen im »Thomas Ashe« und bestellten Bier für unsere Tische. Das war, bevor der Spitzel mich denunzierte. Auch der kleine Franzose war dort und hörte uns wortlos zu. Sie tauschten einen schnellen belustigten Blick. Ich dachte bei mir, die beiden hecken bestimmt etwas aus. Und hatte recht.
    Antoine nutzte die dreizehn Monate, die ich in der Zelle, unter der Decke zubrachte, um mich herauszufordern. Jim hatte ihn diskret mit einem Offizier für internationale Angelegenheiten zusammengebracht. Antoine war ein Geigenbauer aus Paris und den britischen Geheimdiensten vermutlich nicht bekannt. Er marschierte zwar durch unsere Straßen und trank in unseren Clubs, aber das taten viele andere auch. Er spielte Geige, das war seine Waffe. Die Polizei mussteihn für einen Idealisten auf der Suche nach Harmonien halten.
    Jim hatte sich erkundigt. Der kleine Franzose wohnte in einer ruhigen Straße, die auf den Boulevard des Batignolles führte, zum Viertel der Geigenbauer. Dort gab es ein unbenutztes Dienstbotenzimmer. Antoine gab Jim die Schlüssel mit einem Marineanker als Anhänger. Das Zimmer wurde zu einem Versteck mit Innenhof und einem kleinen Mäuerchen, von wo aus man ins Nachbarhaus gelangen konnte. Rome, Liège, Europe, drei Metrostationen in der Nähe. Eine ideale, friedliche Lage. Mehrere von uns wechselten einander unter diesem Pariser Dach ab. John McAnulty, Mary Devaney und Paddy Best. Keiner von ihnen ist Antoine jemals begegnet.
    Er transportierte auch Geld für eine Einheit auf der Durchreise. Und noch mehr Geld für die Kämpfer auf dem Weg nach Ungarn. Zwei Mal mietete er Autos mit falschen französischen Papieren. Er diente als Übersetzer. Begleitete einen IRA-Offizier im Nachtzug von Paris nach Bilbao. Und stellte keine Fragen. Unsere Ziele waren sein Gewissen und unser Leiden seine Gewissheit.
    Als ich erfuhr, dass Antoine der IRA geholfen hatte, ging ich zu Jim. Eine kurze, laute Auseinandersetzung. Ich war sein Chef. Verlangte Namen, Orte, Daten, Fakten. Der kleine Franzose sollte aus alldem herausgehalten werden.
    Am nächsten Samstag führte ich Antoine in ein Nebenzimmer des »Thomas Ashe«, unsere Ecke hinter der Bar. Einer bewachte die Tür. Antoine setzte sich. Ich blieb stehen. Warf seine Schlüssel auf den Tisch. Die mit dem Marineanker. Und fragte: »Was ist das?«
    Verblüfft sah er mich an.
    »Meine Hausschlüssel.«
    »Wem hast du sie gegeben?«
    Er senkte den Blick.
    »Wem, Sohn?«
    Er schüttelte den Kopf. Er kannte die Namen nicht. Ich beugte mich über den Tisch. Ich flüsterte. Der Lärm aus dem Saal wogte in Wellen zu uns herüber. Auf der Bühne spielte die Band »Oh! Danny Boy«.
    »Du bist kein Ire, Antoine«, sagte ich leise, wie man eine schlechte Nachricht ankündigt.
    »Was wärst du, wenn du kein Ire wärst?«, hatte der Wirt des »Mullin’s« einst meinen Vater gefragt.
    »Ich wäre beschämt«, hatte mein Vater geantwortet.
    Ich lehnte mich an die Wand. Er sei Antoine, der Geigenbauer, nicht Tom Williams oder Danny Finley. Ein Freund der Iren, ein Kamerad, ein Bruder, gewiss, aber doch nur vorübergehend. Kein Vorfahr war während der Großen Hungersnot gestorben, kein Großvater von den Engländern gehängt worden, kein Bruder im aktiven Dienst gefallen, keine Schwester verhaftet. Er bringe andere in Gefahr durch die Freude, die er sich damit mache. Freude? Empört winkte Antoine ab.
    »Krieg spielt man nicht, Sohn, den führt man.«
    Er habe keinen Anspruch auf unseren Zorn, sagte ich noch.
    Dann setzte ich mich ihm gegenüber. Legte meine Hand auf den Tisch, Handfläche nach oben. Und bat ihn, seine Hand danebenzulegen. Musikerhand neben Bauernhand. Tyrone-Haut neben Antoine-Haut. Die eine rau von Backsteinen, die andere von Holz poliert. Leder und Seide.
    »Versprich mir, dass du mit alldem aufhörst.«
    Er sah mich an.
    »Versprich es mir!«
    Er würde unser kleiner Franzose, unser Geigenbauer bleiben. Er solle uns von Ahorn und Ebenholz, Buchsbaum und Palisander erzählen. Einen Zylinder aus hellem Holz zwischen unsere Biere stellen und bei seinem Leben schwören, dass dies die Seele einer Geige sei. Er könne jederzeit Trinklieder und die Nationalhymne für uns spielen oder eine Klage am Grabesrand, um einen der

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