Rückkehr nach Killybegs
machte. In Paris benutzte er sie, um sich als Auswanderer zu fühlen. Eine Bauernmütze, die niemand mehr trug außer dem alten Tyrone Meehan und ein paar Postkarten-Greisen. Mit meiner Mütze war Antoine zu Tony geworden. Doch jetzt war Antoine mit unbedecktem Kopf gekommen. Ohne Gemeinsamkeit zwischen uns beiden.
Das Feuer ging nicht an. Der Rauch biss in den Augen.
»Und unsere Freundschaft?«, fragte er.
Endlich sah Antoine mich an.
»Wie, unsere Freundschaft?«
Er senkte den Kopf, und ich ärgerte mich. Eine Frage mit einer Frage zu beantworten, ist die Taktik derer, die keine Antwort wissen.
Er nahm den Faden wieder auf.
»War sie echt?«
Das war es also.
Ich hatte mir kurz eingebildet, der kleine Franzose sei meinetwegen gekommen. Um mich zu beschimpfen oder zu bedauern. Um mir zu sagen, was ich alles Schlimmes getan hätte. Um mir seine Enttäuschung, seinen Zorn, seine Scham ins Gesicht zu schreien. Dabei war es seinetwegen.
»Ich verstehe deine Frage nicht, Antoine«, sagte ich und ging zum Kamin zurück. »Du fragst mich, ob ich dein Freund bin?«
Er nickte.
»Deshalb hast du diesen weiten Weg gemacht?«
Die gleiche schüchterne Bestätigung.
Ich setzte meine Mütze wieder auf. Sein Bild eines Iren.
»Sieh mich an und sag mir, was du glaubst.«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht mehr.«
»Du weißt nicht viel, was?«
Er war enttäuscht. Ich war verletzt. Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr getroffen war.
Ich hätte ihm antworten können. Ihn daran erinnern, wie er mir in der Pariser Metro über den Weg gelaufen war. Zur Hauptverkehrszeit, der Waggon war voll. Ich musste zu einem Treffen mit Honoré, dem Bürokraten, in einem Café am Boulevard Saint-Michel. An der Station »Opéra« sah ich den kleinen Franzosen einsteigen. Mit seiner Mütze, seinemIRA-Abzeichen, seinen rührenden Ansteckern. Ich war baff. Paris hatte über zwei Millionen Einwohner, und ich traf den einzigen, den ich nicht treffen durfte. Gott, der Zufall, mein schlechtes Gewissen oder seine Naivität ließen uns beide genau an diesem Tag und zu dieser Zeit nicht nur in die Metro steigen, sondern in dieselbe Linie, dieselbe Richtung, denselben Waggon. Ich saß auf einem der Vierersitze. Er hielt sich vor mir an einer Stange fest und schaute herausfordernd drein. In Belfast hätte ich ihn angesprochen.
»Antoine? Bist du auf einer Mission, kleiner Franzose? Du siehst aus, als wolltest du gleich einen Sturmangriff starten! Nimm die Zähne auseinander! Und atme mal tief durch!«
Ich machte mich so klein wie möglich. Mir gegenüber saß eine Frau, daneben ein Zeitungsleser und eine Mutter mit einem Kind auf dem Schoß. Ich lehnte am Fenster. Sah hinaus in den endlosen Tunnel. Er beobachtete die Leute. Unsere Blicke trafen sich im spiegelnden Glas. Er riss Augen und Mund auf. Erstarrte, verblüfft. Wenn ich in Paris war, nahm er mich immer bei sich auf. Beherbergte mich, verköstigte mich und half mir, mich zurechtzufinden. Ich war sein irischer Widerstand. Durch mich kämpfte er. Durch mich hatte er die Anstecker, die Mütze, aber auch das Kribbeln des Untergrunds. Einmal wollte er wissen, was ich in Paris zu tun hätte. Ich fragte ihn lächelnd: »Arbeitest du für die Briten oder was?«
Da wurde er rot. Und entschuldigte sich. Und stellte nie wieder dumme Fragen.
Er holte mich jedes Mal vom Flughafen ab und brachte mich wieder hin. Da er keinen Führerschein hatte, zahlte ich das Taxi.
»Ein Geschenk der IRA!«
Ich nahm die Rechnung, und er war stolz.
Aber was hatte ich ohne ihn hier verloren an diesem Mittwoch, in dieser Metro, mit der kleinen Reisetasche, die er mir geschenkt hatte? Er kam auf mich zu, setzte höflich die Ellbogen ein. Ich drehte mich um. Stoppte ihn mit hartem Blick und befahl ihm mit dem Finger auf dem Mund zu schweigen. Er blieb mitten im Waggon wie angewurzelt stehen. Ich deutete ein eisiges Lächeln an. Beruhigte ihn. Er entspannte sich. Nickte stumm Bestätigung.
»Verstanden, Tyrone!«
Ich war auf Mission, in einem gefährlichen Auftrag unterwegs. Er durfte nichts von meiner Anwesenheit wissen. Die IRA schützte ihn. Und ich schonte ihn dieses Mal. Er lächelte sein leises Lächeln. Sein Sohneslächeln. Das mich jedes Mal ans Herz rührte. Das Lächeln dessen, der wortlos versteht, fraglos zustimmt. Mein kleiner Franzose, mein Gefährte des Schweigens.
Bis zur nächsten Station hatte er wieder Haltung angenommen, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Kämpfte nicht mehr,
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