Rueckkehr nach River's End
sie einen Duft wahr, der ihren Atem schneller gehen ließ.
Zedern, aus dem Futterstoff. Lavendel. Seitlich vom Haus hatte ihr Großvater Lavendelbüsche angepflanzt. Aber unter diesen Gerüchen verbarg sich ein dritter, der ihr fremd und vertraut zugleich vorkam. Obwohl sie ihn nicht einzuordnen vermochte, hatte ein Hauch von diesem Duft genügt, um ihr Herz höher schlagen zu lassen.
Das Prickeln in ihren Fingern wurde intensiver und ließ sie erzittern. Sie griff in die Kiste hinein, fand Videos in schlichten, schwarzen Plastikhüllen, auf denen nur ein Datum verzeichnet war. Drei dicke Fotoalben, unterschiedlich große Schachteln. Sie öffnete eine, die sie an den Karton erinnerte, in dem ihre Großeltern ihren altmodischen Weihnachtsschmuck aufbewahrten.
Dort, auf schützendes Schaumgummi gebettet, lagen ein halbes Dutzend Kristallflakons.
»Die Zauberfläschchen«, flüsterte Olivia. Plötzlich schien der Speicher von einem kehligen, wunderschönen Lachen, von flackernden Bildern, von exotischen Düften erfüllt zu sein.
An deinem sechzehnten Geburtstag darfst du dir eins aussuchen. Eins, das dir am meisten gefällt. Aber du darfst nicht damit spielen, Livvy. Sie könnten zerbrechen. Du könntest dich schneiden oder in die Scherben treten.
Mama beugte sich vor, ihr weiches Haar fiel seitlich über ihr Gesicht. Lachend, mit strahlenden Augen, sprühte sie einen Hauch Parfüm an Olivias Kehle.
Der Duft. Mamas Parfüm. Olivia kam wieder auf die Knie, lehnte sich gegen die Truhe, machte tiefe, lange Atemzüge, konnte plötzlich ihre Mutter riechen.
Sie stellte die Schachtel zur Seite und griff nach dem ersten Fotoalbum. Es war schwer und unhandlich, also zog sie es auf den Schoß. Im ganzen Haus gab es kein einziges Foto von ihrer Mutter. Olivia erinnerte sich daran, daß es früher Aufnahmen gegeben hatte, die jedoch vor langer Zeit verschwunden waren. Das Album hingegen war voll davon, Bilder von ihrer Mutter als junges Mädchen, von ihr und Jamie, sie zusammen mit ihren Eltern. Mama war fröhlich, lachte und zog vor der Kamera Grimassen.
Bilder, aufgenommen vor dem Haus und im Haus, auf dem Campingplatz und am See. Bilder mit Großpapa, als sein Haar noch mehr golden als silbern war, und mit Großmama in einem eleganten Kleid.
Sie entdeckte ein Bild, auf dem ihre Mutter ein Baby hielt. »Das bin ich«, flüsterte Olivia. »Mama und ich.« Sie schlug die nächste Seite auf, verschlang die Bilder beinahe, bis sie plötzlich ein abruptes Ende nahmen. An den Klebstoffspuren konnte sie erkennen, daß weitere Fotos entfernt worden waren.
Ungeduldig griff sie nach dem nächsten Album.
Diesmal waren es keine Familienbilder, sondern Zeitungsausschnitte, Artikel aus Magazinen. Ihre Mutter auf der Titelseite von People, Newsweek und Glamour. Olivia betrachtete sie sehr genau, prägte sich jeden Gesichtszug ein. Sie hatte die Augen ihrer Mutter geerbt. Das hatte sie schon immer gewusst , daran konnte sie sich erinnern, aber sie so deutlich vor sich zu sehen, mit ihren eigenen Augen in die Augen ihrer Mutter zu blicken, die Farbe, die Form, die dunklen Augenbrauen ...
Als sie weiterblätterte und eine Serie von Aufnahmen ihrer Mutter zusammen mit einem dunkelhaarigen Mann entdeckte, machte ihr Herz einen Sprung. Er sieht gut aus, wie ein Dichter. Es gab Bilder von den beiden in einem Garten, und in einem großen Raum mit Dutzenden von strahlenden Lichtern. Auf einem Sofa hatte sich ihre Mutter auf seinen Schoß gesetzt, sie hatten ihre Gesichter eng aneinandergeschmiegt und lächelten sich an.
Sam Tanner. Dort stand, daß sein Name Sam Tanner lautete. Während sie weiterlas, begann sie zu zittern. Ihr Magen krampfte sich wie eine geballte Faust zusammen.
Daddy. Das war Daddy. Wie hatte sie ihn vergessen können? Daddy, der mit Mama Händchen hielt oder den Arm um ihre Schulter gelegt hatte.
Eine blutbefleckte Schere.
Nein, nein, das war nicht möglich. Es war ein Traum, ein Alptraum. Einbildung, weiter nichts.
Sie wiegte sich hin und her, preßte die Hände vor den Mund. Die Bilder stürzten auf sie ein.
Zerbrochenes Glas glitzerte auf dem Fußboden im Licht. Sterbende Blumen, der warme Nachtwind wehte durch die offene Tür.
Es war keine Wirklichkeit. Sie wollte nicht zulassen, daß es Wirklichkeit war.
Olivia schob das Album zur Seite und zog das letzte mit zitternden Fingern heraus. Sicherlich noch mehr Bilder von ihren Eltern, wie sie lachten, glücklich waren und einander festhielten.
Aber es waren
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