Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
triviale Vorschläge machen, ehe ich ihr den Namen von Beruhigungstabletten aufschrieb, die bei reichen und erregbaren Leuten beliebt waren. Sobald sie wieder in Form war, bekam ich vielleicht sogar Blumen und durfte mich darüber freuen, dass mein Stern noch heller erstrahlte. Der Seelenklempner eines aufmerksamkeitssüchtigen Stars ist wie ein Wahrsager mit einem leichtgläubigen Publikum: Selbst die pauschalsten Äußerungen werden als eindringliche Erkenntnisse über den Charakter begrüßt, und die banalsten Vorhersagen erschallen mit der Erhabenheit eines Orakelspruchs. Es klang nach einer einfachen Aufgabe. Der Termin mit Lily war um zehn, und ich versprach Richard, um eins fertig zu sein, weil er mit mir im Guggenheim Museum eine Ausstellung von Aktselbstporträts einer Bekannten besuchen wollte. Stattdessen war ich zwölf Stunden mit ihr zusammen.
Es fing damit an, dass Lily zwei Stunden zu spät zum Frühstück erschien. Das Café leerte sich, füllte sich wieder für den aufmöbelnden Kaffee am mittleren Vormittag, leerte sich erneut, und noch immer saß ich allein mit meinem kleinen Aufnahmegerät für Interviews und einem Buch mit gelben, blauen und violetten Abbildungen von Richards Bekannter da, das er mir gegeben hatte, um mir Lust auf die Ausstellung zu machen. Um halb zwölf merkte ich, dass ich schon fast neunzig Minuten wartete und über dreihundert Impressionen der weiblichen Anatomie begutachtet hatte (sie machten kaum Eindruck auf mich, aber vielleicht musste man eben das Original sehen). Die Kellnerinnen betrachteten mich mit Verachtung oder Mitleid, als allmählich die frühe Mittagszeit begann. Am Tisch rechts von mir machte sich ein Geschäftsmann mit verbissenem Ernst über ein riesiges Omelett her, das aussah, als könnte es ihn für den Rest des Tages beschäftigen. Unter normalen Umständen hätte ich es aufgegeben, aber außer der Verabredung mit Richard stand nichts in meinem Terminkalender, und abgesehen davon war ich ziemlich energielos. Ich hatte eine kurze Nacht hinter mir, weil Richard und ich lange aufgeblieben waren und über alte Zeiten geredet hatten. Meine Gliedmaßen waren schwer und steif, und mein Kopf spuckte nur automatisch ab und zu einen anspruchslosen Gedanken aus wie ein Fernsehsender, der sanfte Musik spielen lässt, während eine technische Störung behoben wird. Ohne Handy oder andere Medien für prompte Entschuldigungen 13 war es einfach ein Kampf zwischen Ungeduld und Lethargie. Ich beschloss, noch bis zwölf auszuharren, und sechs Minuten vor der vollen Stunde tauchte Lily auf.
Wegen ihres Rufs hatte ich wohl damit gerechnet, entweder von einer Umarmung überwältigt oder mit frostiger Wortkargheit begrüßt zu werden, doch stattdessen drückte sie mir mit einem schüchternen Lächeln die Hand und stellte sich vor. Sie hatte eine wasserdichte Entschuldigung für ihre Verspätung. »Ich habe vergessen, welcher Wochentag heute ist.« Sie glitt auf einen Stuhl und bestellte Kaffee mit verschiedenen Sonderwünschen. Dann schenkte sie mir mit einem großzügigen Lächeln ihre Aufmerksamkeit.
Ich war nicht darauf vorbereitet, wie schön sie war und was für eine besondere Art von Schönheit sie besaß. Aus dem Film erinnerte ich mich an sie als Blondine, und aus irgendeinem Grund hatten mich die Geschichten über ihr verwöhntes Benehmen in dieser Vorstellung bestärkt. Doch es war glänzendes rotes Haar, das ihr bis weit über den Rücken reichte und ein Paar unwahrscheinlich grüner Augen betonte. Auch ihre elegante schwarze Kleidung trug dazu bei. Irgendwie glaubte ich sie zu kennen, aber nicht aus einem Film. Erst nach einer Weile kam ich darauf: Sie erinnerte mich an Jennifer O’Hara.
Die Abschlussfeier, bei der ich Jennifer zum letzten Mal gesehen hatte, lag schon viele Jahre zurück. An diesem Abend nahm sie kaum Notiz von mir, nur als das Essen serviert wurde, tuschelte sie mit ihrem australischen Freund, und die beiden warfen mir einen bedeutsamen Blick zu. Als ich jetzt Lily gegenübersaß, meinte ich fast, eines von diesen Porträts vor mir zu haben, auf denen der Künstler die verstrichene Zeit ausgleicht und das Modell in die Gegenwart holt. Die schmalen, schelmischen Lippen, die unruhigen Augen und die wohlgeformten Beine – alles stimmte. Doch Lilys Gesicht und Haut schimmerten vom Glanz der Erfahrung, während Jennifer damals »wie eine reife junge Frucht« gewesen war (in der Formulierung eines Schulzeugnisses, das Mr. Paulsons notorisch
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