Ruegen Ranen Rachedurst
irgendeiner Weise mit dem Täter verbandelt ist und sich deswegen nicht traut, sich ganz normal an die Polizei zu wenden“, erwiderte George. „Stellen Sie sich die Situation doch einmal vor! Sagen wir zum Beispiel, Sie wüssten, dass Ihre Schwiegermutter jemanden umgebracht hat. Sie wissen, was passiert ist und wollen auch, dass die Täterin zur Rechenschaft gezogen wird, aber andererseits möchten Sie den Familienfrieden erhalten. Solche Zwickmühlen gibt es doch!“
„ Ja, sicher. Ich komme einfach nur nicht darüber hinweg, dass mich jemand beobachtet und es dann wahrscheinlich einfach nicht wagt, mich anzusprechen.“ Benecke tippte an den ja nur kurzfristig entfernten Nasenring. „So schwer wiederzuerkennen bin ich ja wohl nicht!“
„ Haben Sie schon mal daran gedacht, dass es auch der Täter gewesen sein könnte, der Sie auf dem Kieker hatte?“ George zuckte mit den Schultern und überholte beherzt einen Lastwagen. „Wäre doch auch möglich! Angenommen, wir sind bei unseren Ermittlungen dem Täter bereits begegnet … Er hat Sie vielleicht schon im Fernsehen bei der Arbeit beobachten können und bekommt es nun mit der Angst zu tun. Der große Maden-Doktor wird durch die Untersuchung an einer toten Ameise unter einem Stiefel gleich die Adresse des Täters herausbekommen und schon bald vor der Haustür stehen.“
George hatte damit auf einen zurückliegenden Fall verwiesen, den Benecke als forensischer Gutachter gelöst hatte.
„ Wenn das mal immer so einfach wäre“, lachte dieser.
„ Ja, aber Sie müssen doch zugeben, dass das eine Möglichkeit wäre!“
„ Und was soll das Ganze dann? Meinen Sie, der Mörder will mich unter Dauerbeobachtung halten, um zu sehen, wie weit wir ihm schon auf den Fersen sind?“
„ So ähnlich könnte ich mir das vorstellen.“
„ Das klingt schon sehr seltsam, was Sie da sagen, Herr Schmitz. Andererseits war die ganze Situation auch sehr seltsam. Schon allein die Sprechweise dieses Mannes.“
„ Aber dass es ein Mann war, da sind Sie sich sicher?“, fragte George.
„ Doch, in dem Punkt bin ich mir absolut sicher.“
„ Wie sprach er denn?“, wollte George wissen.
Benecke suchte nach den richtigen Worten. Er schnipste mit den Fingern. „Es war erstens abgedämpft, so als würde er durch ein Taschentuch oder dergleichen sprechen. Und zweitens sprach er sehr merkwürdig. Irgendwie hat mich das an etwas erinnert …“
„ Na los, äußern Sie einfach, woran! Sie sagen doch immer, dass man nicht groß nachdenken soll. Also halten Sie sich daran und sagen Sie einfach, was Ihnen einfällt!“
„ Ich dachte an meine Grundschulzeit.“
„ Wie bitte?“, fragte George jetzt doch etwas überrascht.
„ Ja, wir hatten da einen Jungen in der Klasse, der bekam es einfach nicht hin, einen Text in normaler Betonung zu lesen. Er las jedes Wort einzeln und so klang es immer ein bisschen nach einem Roboter. Er sprach so …“
„… als würde er es von einem Zettel ablesen?“, hakte George nach.
Sein Mitfahrer wirkte sehr nachdenklich. Was der Reporter so einfach dahingesagt hatte, traf es genau. Aber irgendwie hatte Benecke keine Ahnung, was er daraus jetzt für Schlussfolgerungen ziehen sollte. Es konnte auch alles vorgetäuscht sein, um die Stimme weiter zu verfremden und so die Ermittlungen zu erschweren. Er atmete tief durch und ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Ihn überkam das Gefühl, ganz dicht vor einer sehr entscheidenden Erkenntnis zu stehen.
Sie erreichten schließlich das Hotel Seestern im Ostseebad Baabe. Das Hotel lag am Ende der baumbestandenen Strandstraße, nur durch den Kurpark vom Strand getrennt.
George fuhr auf den hoteleigenen Parkplatz, und die beiden Männer stiegen aus.
Hotel Seestern in Baabe – den Alltag hinter sich bringen und die Freiheit genießen
Dann gingen sie zum Eingang des mit einem Turm versehenen Hotels. „Ich hoffe nur, dass wir die beiden Jogger-Grazien heute Morgen antreffen“, meinte Benecke, während er sich die Umhängetasche mit dem MacBook zurechtzog.
„ Na ja, das Frühstück scheint auf jeden Fall gut zu sein!“, gab George zurück und spähte von der Außenterrasse in das gepflegte Restaurant.
„ Also schon wieder was essen, kommt jedenfalls nicht infrage – sonst platze ich“, sagte Benecke.
„ Man wird ja mal gucken dürfen“, gab George kleinlaut zurück.
Sie gingen hinein. An der Rezeption bedauerte gerade ein Herr in mittleren Jahren dem Portier gegenüber, dass er
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