Rügensommer
einen ganz weichen Teint!« Udo hatte ebenfalls ein Stück Kreide aufgehoben, strich sich damit über die Handfläche und zeigte sie seinen Gästen. Sofort bückten sich alle, um sich etwas Kreide zu sichern und damit auf ihren Armen herum zu rubbeln.
»Das ist auch gut für das Gesicht«, ermunterte Udo die Gruppe.
Bei Deike schrillten die Alarmglocken. Gerade wollte auch sie nach einem weißen Klümpchen greifen, doch jetzt zog sie die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Nein, sie würde auf Kriegsbemalung verzichten. Insgeheim hoffte sie, dass die schlanke Dame mit den Falten seinem Rat folgen würde. Das könnte ziemlich lustig aussehen.
Während die älteren Herrschaften sich mit der Kreide amüsierten wie kleine Kinder, genoss Deike die klare salzige Luft und die Sonne auf ihrer Haut. Sie blickte den steinigen Strand entlang, ob sie irgendwo einen Wanderweg entdecken konnte, der wieder nach oben führte. Aber so wie es aussah, würden sie den gleichen Weg nehmen müssen, den sie gekommen waren: die Treppe. Das war bei dieser Hitze nicht ohne. Hoffentlich waren die alten Leutchen der Herausforderung gewachsen.
»Bereit für den Aufstieg?« Udo strahlte seine Schäfchen an. Klar, er wusste, dass er ihnen gut würde zureden müssen.
Nach dem ersten Absatz brach Deike der Schweiß aus, nach dem zweiten wurde sie kurzatmig. Himmel, brauchten die anderen denn gar keine Pause? Zwei Absätze weiter überholte ein Pärchen sie. Die beiden nickten ihr munter zu.
»Ganz schön anstrengend, was?« Ohne eine Antwort abzuwarten,waren sie vorbei. Gut so, Deike hätte nämlich keinen vollständigen Satz mehr zustande gebracht, so pustete sie. Sie fragte sich, wann sie das letzte Mal Sport gemacht hatte. Weil sie sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern konnte, nahm sie sich ganz fest vor, demnächst wieder damit anzufangen.
Okay, vielleicht war die Kondition dieser Truppe ganz passabel, aber es war trotzdem unverantwortlich von Udo, den Aufstieg in einem Rutsch durchziehen zu wollen. Nein, da machte sie nicht mit. Deike blieb stehen und atmete schwer. Da waren die letzten drei heran.
»Tolle Aussicht«, japste sie mühsam. »Es ist viel zu schade, hier so ohne einen Blick zurück nach oben zu hetzen.« Sie wischte sich verstohlen den Schweiß von der Stirn. Es hatte sie viel Kraft gekostet, so viel zu sprechen. Jetzt war sie erst einmal wieder ausschließlich mit Atmen beschäftigt.
Eine Frau drehte sich um und sah zurück. »Sie haben recht, es ist wirklich ein beeindruckender Anblick.« Sie verharrte kurz, eilte dann den anderen hinterher und holte sie rasch ein.
Deike hörte einen von ihnen sagen: »Die Aussicht hatten wir doch die ganze Zeit, als wir heruntergestiegen sind.«
Als sie endlich wieder den Ausgangspunkt erreicht hatte, lief ihr der Schweiß nur so aus den klitschnassen Haaren, ihre Wangen glühten, und ihre Kleider klebten ihr am Leib. Die kleine Gruppe schnatterte höchst lebendig. Bis auf eine feuchte Strähne hier oder ein leicht gerötetes Gesicht da war ihnen die Anstrengung nicht anzusehen.
»Fahren Sie vier Kilometer geradeaus«, schnarrte Norbert.
»Nix da, heute fahren wir mal außen um den kleinen Bodden herum«, widersprach sie dem Navigationsgerät. In ihrem klimatisierten Auto fühlte sich Deike schon wieder viel wohler.Im Bruchteil einer Sekunde berechnete Norbert die Route neu und führte sie nach Lietzow. Dort fuhr sie auf einer schmalen Landzunge zwischen dem großen und dem kleinen Jasmunder Bodden hindurch. Im Rückspiegel tauchte das weiße Lietzower Schlösschen auf wie eine Miniatur von Neuschwanstein.
Sie folgte der Bundesstraße in Richtung Bergen und überlegte kurz, ob sie noch in der Redaktion vorbeischauen sollte. Da entdeckte sie Schlabberhose mit seinem Rennrad. Der Fahrradweg lief parallel zur Straße. Natürlich war sie schnell an ihm vorbei, aber die Zeit reichte, um zu bemerken, dass er ziemlich flott unterwegs war. Außerdem sah er ausgesprochen knackig aus in den engen Radlerhosen und dem figurbetonten T-Shirt. Donnerwetter, der Kerl hatte muskulöse Oberschenkel und Waden und anscheinend kaum Speck auf den Rippen. Das war ihr bisher gar nicht aufgefallen. Wie auch, wenn er herumlief wie ein Schlumpf?
Deike fuhr auf direktem Weg nach Hause. Sie konnte unmöglich in der Redaktion auftauchen, ohne geduscht zu haben. Den Geruch konnte sie ihrer schwangeren Kollegin nicht zumuten. Womöglich würde das Ungeborene Schaden nehmen. Ihre Gedanken
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