Rügensommer
traf, sahen sie einem Mann zu, der sich als lebende Statue zur Schau stellte. Er trug einen goldenen hoffnungslos zerknitterten Anzug und einen ebenfalls goldenen Hut, der einmal zum Ölzeug eines alten Fischers gehört haben mochte. Der Mann stand auf einem kleinen Podest, auf dem er ein Steuerrad und allerlei Figuren, vor allem Fische, einen Hummer und ein ganzes Fischernetz befestigt hatte. Warf jemand Geld in seinen Gummistiefel, den er vor dem Podest platziert hatte, erwachte er zum Leben und versetzte mit Händen und Füßen einige der Figuren in Bewegung. Die Glöckchen und Schellen, die an seinen Fingern, Hand- und Fußgelenken festgeknotet waren, erzeugten dabei helle klirrende Geräusche.
Deike ließ sich von ihm endgültig ablenken. Wie viele andere, Touristen mit viel Zeit und auch Einheimische mitten in ihren Erledigungen, stand sie gebannt da und musterte den drolligen Kauz, damit ihr kein Detail entging. Vor allem Kinder konnten sich seinem Zauber nicht entziehen. Ein kleines Mädchen stand mit offenem Mund vor ihm und sah an ihm hoch. Das Eis in ihrer Hand hatte sie völlig vergessen. Sie bemerkte nicht einmal, wie es schmolz und ihr über die Finger lief.
Natty schien das kleine Mädchen mit den klebrigen Händchen ebenfalls beobachtet zu haben. »Ein dicker fetter Eisbecher wäre jetzt genau richtig. Was meinst du?«
Deike strahlte ihre Schwester an. »Ist das eine Fangfrage? Für einen Eisbecher kannst du mich nachts wecken.«
»Wie gut, dass es Dinge gibt, die sich nie ändern.«
Sie rissen sich von dem Anblick der lebenden Statue los und gingen zurück in die Fußgängerzone.
»Guck mal, da ist Hannes!«
Deike war wie vom Donner gerührt. Es gelang ihr gerade noch, sich eine Bemerkung darüber zu verkneifen, dass sie ihn an diesem Tag schon einmal gesehen hatte. Ihre Schwester im Zaum zu halten, bevor diese zu winken und zu rufen begann, schaffte sie allerdings nicht mehr. Schon hatte er sie entdeckt und kam auf sie zu.
»Hallo! Wie ich sehe, seid ihr gerade dabei, ein paar Frauenklischees zu erfüllen.« Hannes deutete auf ihre Tüten, die verrieten, wo die beiden Geld ausgegeben hatten.
»Es hätte schlimmer kommen können. Ein Paar Schuhe und ein Rock, das ist eher schlapp für zwei Frauen«, konterte Natty gutgelaunt. »Ist bei dir wieder alles im Lot?«
»Ja, danke.« Er sah unbestreitbar weniger bekümmert aus als noch am Morgen im Klinik-Park. Von Sonntag ganz zu schweigen. Trotzdem wollte er anscheinend nicht über das Thema reden. »Was habt ihr jetzt noch vor?«, fragte er schnell.
Deike wollte Natty in die Seite hauen. Heute war ja wohl Schwestern-Tag, da brauchten sie keinen männlichen Begleiter, aber wieder war es zu spät.
»Wir wollen jetzt einen Eisbecher schlemmen gehen. Einkaufen ist anstrengend, wir brauchen dringend eine Stärkung. Hast du Lust mitzukommen?«
»Du musst doch sicher arbeiten«, warf Deike ein.
»Ja, ich habe gleich einen Termin hier in Binz.« Er sah auf die Uhr. »Das heißt, ich bin früh dran. Und ich habe heute noch nicht viel gegessen. Also, wenn ihr wirklich nichts dagegen habt …« Er sah Deike an. Sie schlug die Augen nieder.
»Quatsch, wir freuen uns. Stimmt’s, Schwesterchen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, machten Hannes und Natty sich auf den Weg. Er bestimmte die Richtung.
»Klar, das ist super«, sagte Deike leise und schlurfte mit hängenden Schultern hinter ihnen her. »Wollten wir nicht an der Strandpromenade …?« Es war ein kläglicher Versuch. Die beiden hörten ihr ohnehin nicht zu, denn Natty berichtete bereits ausführlich von Deikes Schuhkauf. Als ob ihn das etwas anginge. In dem Moment wünschte sie sich, sie hätte sich doch für nützliche Wanderstiefel entschieden.
»Wo gehen wir überhaupt hin?«, wollte sie wissen.
»Am Schmachter See gibt es ein nettes kleines Café. Die haben richtig gutes Eis.« Hannes sah ihr direkt in die Augen.
Ihr kam kurz in den Sinn, ihn auf die Frau aus der Klinik anzusprechen, aber dann fehlte ihr doch der Mut.
»Außerdem ist es da total schön, für Binzer Verhältnisse ruhig und sehr idyllisch.«
»Ein weiterer Kraftort?« Deike wollte ihm eigentlich gar nicht das Gefühl geben, sie nehme ihn nicht ernst. Es war ihr einfach in einem ziemlich überheblichen Ton rausgerutscht. Egal, sollte er doch von ihr denken, was er wollte. Und der drohende Blick von Natty interessierte sie auch nicht.
Er ignorierte ihre Spitze. »Nein, es ist nur eine richtig schöne Ecke, das ist
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