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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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roch beißende Dämpfe. Sie versuchte nach hinten auszuweichen, prallte jedoch gegen einen Körper, der sie festhielt, wo sie war. Sie erstickte. Die Geräusche um sie herum verlangsamten sich. Sie stieß mit dem Ellenbogen nach hinten, doch ihre Muskeln lockerten sich, lösten sich in ihre Einzelteile auf. Sie fiel jetzt. Sie schlug auf dem Boden auf. Einen kurzen Augenblick lang tat es weh, doch dann fühlte er sich unter ihrer Wange auf einmal an wie ein Schwamm. Füße liefen in einem langen Schleier vorbei. Sie schloss die Augen. Sie hatte Angst, war jedoch zu müde, um dagegen anzugehen.
    Nun erbebte die Welt um sie herum. Sie löste sich auf in grelle Farbstreifen, die sich, während sie hochgehoben wurde, in die Länge zogen wie sich auflösender Kautschuk. Ihre Glieder baumelten kraftlos herab, lästig, schwer und gefühllos, hatten nicht mehr das Geringste mit ihrem Oberkörper zu tun. Sanburnes Gesicht kräuselte sich, eine Spiegelung in windgepeitschtem Wasser. Er sprach mit ihr, doch sie konnte ihn nicht verstehen. Seine Stimme sprang und wurde leiser wie bei einer schlechten Phonografen-Aufnahme.
    Sie lag in seinen Armen: Diese Erkenntnis drang zu ihr durch. Er trug sie. Sie legte die Wange an seine Schulter und ließ die Dunkelheit erblühen wie eine nachtdunkle Rose. In Blumen sollte man sowieso nicht zu viel hineininterpretieren …
    Lydia fühlte sich in seinen Armen so leicht wie ein Kind. Er hatte keine Geduld mit den Fragen der Polizisten. Er wollte sie so schnell wie möglich nach Hause schaffen. Ausnahmsweise einmal kam es ihm gelegen, auf dem Papier ein Adliger zu sein: Er erwähnte ganz nebenbei seinen Titel und machte eine Anleihe beim hochmütigen Lächeln seines Vaters, und innerhalb von zehn Minuten katzbuckelten die Gesetzeshüter vor ihm und willigten ein, ihn später in seinem Haus zu befragen.
    In der Droschke rührte sie sich kaum. Gelegentlich gab sie ein Wimmern von sich. Einmal schnappte er seinen Namen auf. James , flüsterte sie. Er glaubte nicht, dass es Einbildung war.
    Er streichelte ihre Wange, bis er sich sicher war, dass sie nicht noch kälter wurde. Und dann, einmal lang und tief durchatmend, sah er aus dem Fenster. Der Tag hatte regnerisch begonnen, doch nun war die Sonne durch die Wolken gebrochen. Ihr Licht wurde von dem peitschenden Regen reflektiert, der wie ein Schauer aus Diamanten auf schwarze Äste fiel, die mit rosa Blüten übersät waren. Der Frühling hatte sich nun doch noch Londons erinnert.
    Er hatte zwar behauptet, dass Alkohol ihm nichts ausmachte, doch das war gelogen. Sein Gang war unstet gewesen, als er über den Bahnsteig gelaufen war. Oder lag es an der frühen Stunde und an der Erschöpfung, die er tief in seinen Gliedern verspürte? So oder so, es gab dafür keine Entschuldigung. Der Selbstekel, der in seiner Brust brannte, machte ihn kurzatmig. Wenn er nur einen Schluck mehr getrunken hätte, wäre er womöglich nicht mehr in der Lage gewesen, die Männer zu überwältigen.
    Sie rührte sich in seinen Armen. Seine Finger krallten sich in ihr Haar. Das darf nicht noch einmal passieren. Ein besserer Mensch würde sie in Wilton Crescent absetzen, da er wusste, welchen Skandal er herausforderte, wenn er sie woanders hinbrachte. Aber er war kein guter Mensch. Doch bei Gott, er wollte auch nicht so ein gottverdammter nutzloser Schweinehund sein, der dumm herumsaß und tatenlos zusah, wie noch eine Frau aufgrund eines blinden, unangebrachten Vertrauens unbekümmert in ihr Verderben stolperte.
    Und er wollte nicht wieder betrunken dasitzen, wenn er von ihrem Schicksal erfuhr.
    Ihr Augen öffneten sich flatternd. Mit ungewöhnlich kleinen Pupillen starrte sie ihn an. Er fragte sich, was sie sah. Er wusste nicht einmal, ob er in diesem Moment sein eigenes Gesicht erkennen würde. Er kam sich selbst wie ein Fremder vor. »Ich bin hier«, murmelte er. »Dir geht es gut.«
    Das war eine recht simple Gleichung. Es wäre wohl hinzubekommen.
    Sie seufzte, und ihre Wimpern senkten sich wieder flatternd.

14
    Lydia erwachte langsam von einem Geräusch, das sich zuerst wie entferntes Donnergrollen anhörte, doch dann, als ihr Bewusstsein ihre Sinne schärfte, eher wie Klavierspiel. Irgendjemand attackierte die Tasten mit den tiefsten Tönen. Sie bekam Kopfschmerzen davon. Als sie tief durchatmete, registrierte sie, dass ihr der Magen wehtat. Sie schlug die Augen auf und erblickte als Erstes einen ihr unbekannten altmodischen Betthimmel. Abrupt setzte sie sich

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