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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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gestürzt, eine Erholung vom Leben. Sie hatte nicht versucht, nach ihm zu rufen, nur um festzustellen, dass sie in einem stummen, gemarterten Körper gefangen war. Das hatte er sich eingeredet.
    Sie danach zu fragen hatte er nie gewagt. Weder per Brief noch während eines ihrer kurzen Zusammentreffen in jenem Drecksloch, in das man sie vor Kenhurst gesteckt hatte. Dennoch, in der Abenddämmerung war er nicht gern nüchtern.
    Er blickte auf das Glas Wasser in seiner Hand. Warum sollte er zu dieser Tageszeit nüchtern sein? Der Untergang der Sonne brachte nichts Freundliches mit sich. Eine Kälte, die dem Land die Farbe entzog. Die gewaltige, quälende Traurigkeit der Dämmerung war, so dachte er, nicht nur ein Ergebnis seiner persönlichen Erfahrung, sondern schlicht eine elementare Wahrheit – eine Wahrheit, die zu erkennen er inzwischen genügend sensibilisiert war. Die Dämmerung war der Helfer der Nacht, der eine Dunkelheit zur Erde drückte, die letztendlich sie alle vernichten würde.
    »Du siehst schlecht aus.«
    Er fuhr zusammen, wandte sich jedoch nicht um. Schließlich, zum Teufel mit ihr , war er nicht dazu verpflichtet, immer gut auszusehen. Dies war sein Zuhause, da konnte er tun und lassen, was er wollte. »Wie bist du an Gudge vorbeigekommen?«
    »An deinem Butler? Er hat mich reingelassen.«
    »Erinnere mich daran, ihn zu entlassen.«
    Lydia seufzte. Es klang unglücklich, und in ihm regte sich das schlechte Gewissen. Ein Gastgeber ist immer liebenswürdig. Ein Gast wird immer geehrt. Sei nett zu deinen Lieben.
    Aber das waren überholte Regeln, überholte Umgangsformen, die er mit allem anderen ad acta gelegt hatte. Mit den Lügen, die er so gerne glaubte, mit den Erinnerungen, die keinen Sinn mehr ergaben: Stellas glückliches Lachen, ihre Hand, die vertrauensvoll auf seinem Arm lag. Oder der Geruch, wenn er früher die Nase an die Brust seines Vaters drückte: Zigarrenrauch, Wäschestärke, Vetiver-Parfum. Erstaunlich, der Gedanke, dass diese Gerüche ihn einst beruhigt hatten.
    Sie stand noch immer da. Ihr Schweigen war wie die Hand der Nacht: Es lastete stärker auf ihm, als ihre Worte es getan hatten. »Geh weg«, sagte er.
    »Nein. Ich muss mit dir reden.«
    »Ach wirklich?« Ein hässlicher und bösartiger Unterton schlich sich in seine Stimme. »Das wundert mich. Kannst du deine Gefühle überhaupt artikulieren?«
    Nach einer Weile sagte sie: »Ich kann dir nicht folgen.«
    Natürlich konnte sie das nicht. Sie brauchte Logik, Regeln, riesige purpurfarbene Pfeile. Gefühle hatten in ihrem Denken nichts verloren. Sie verfügte nicht über die Fähigkeit, die breiten Gräben auszuloten, die sich zwischen zwei Menschen auftun konnten, die eine gemeinsame Vergangenheit hatten – oder auch das dunkle Terrain in ihr selbst. Nun, dann würde er es ihr eben erklären. »Du bist wütend«, sagte er. »Dir wird langsam klar, dass ich recht habe. Dein Vater war an der Sache beteiligt. Aber du kannst dich immer noch nicht dazu durchringen, es zu glauben.«
    »Ich bin überhaupt nicht wütend, James.« Doch ihre Stimme zitterte. »Ich bin … hoffnungsvoll.«
    »Ach ja? Dann bist du also in der Hoffnung hergekommen, dass ich meine Entscheidung rückgängig mache.« Er legte Härte in seine Stimme. Sie würde sich das jetzt anhören – dazu konnte er sie immerhin zwingen. »Du erkennst, dass ich dir eine Hilfe war. Deshalb hoffst du, dass ich dir wieder helfe. Natürlich weißt du, dass ich es wahrscheinlich nicht tun werde. Dir ist klar geworden, dass ich, trotz all meiner Fehler, sage, was ich meine. Deshalb bist du bereit zu verhandeln. Mit deinem Körper, nehme ich an? Was für ein Opfer, Miss Boyce. Doch diesmal könnte Ihr Spiel Konsequenzen haben.«
    »Das hast du ganz falsch verstanden … «
    »Dann wünsche mich dafür zur Hölle, dass ich dich beschuldigt habe. Wünsch mich in den Hades – so würdest du es wohl eher ausdrücken. Oder sag mir, dass ich ein verdammter Schweinehund bin, wenn das zu deinem Wortschatz gehört. Aber ich flehe dich an, sei nicht unterwürfig. Wenn du mir zu nahe kommst, ist es dann nämlich wahrscheinlicher, dass ich nach dir trete, statt dir für deine Höflichkeit zu danken.«
    Sie schnappte hörbar nach Luft. »Was für eine schlechte Meinung du … «
    »Ganz im Gegenteil«, sagte er, und sein Lachen wühlte das Wasser auf, als er das Glas wieder zum Munde führte. »Ich halte dich für den Inbegriff der feinen Gesellschaft. Deine Haltung und alles, was

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