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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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herum und starrte sie entgeistert an. »Unter einer Decke mit solchem Abschaum? Mit jemandem, der dich am helllichten Tage überfällt?« In seinem Bart fingen sich Speicheltropfen. »Das ist ungeheuerlich. Ist unsere Regierung schon so tief gesunken? Ich kann mir wirklich einen sinnvolleren Zeitvertreib für sie vorstellen. Ägypten wird von den Franzosen überrannt, Russland macht uns unsere indischen Grenzen streitig, und denen fällt nichts Besseres ein, als eine Frau zu drangsalieren – alles aufgrund eines paranoiden Hirngespinstes wegen irgendwelcher Strass-Steinchen des Khedive?«
    Seine Wut war so untypisch, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich habe ihm gesagt, dass du unschuldig bist, dass das alles nur Lügen sind. Ich schwör’s!«
    Sein Gesicht veränderte sich, die zerfurchte Falte zwischen seinen Augen glättete sich. »Natürlich hast du das«, sagte er, trat zu ihr und nahm sie in die Arme. »Lydia, mein Mädchen, sei nicht so verzweifelt. Wir werden das klarstellen. Das tun wir doch immer, nicht? Es gibt nichts, das wir nicht gemeinsam bewältigen könnten.«
    Das war alles, was sie schon seit Langem hatte hören wollen. Doch als sie in seinen Armen die Augen schloss, ebbte ihre Furcht nicht ab. »Wie denn?«, stieß sie hervor. »Was sollen wir tun?«
    Er entzog sich ihr. »Ich werde diesem Ashmore einen Besuch abstatten.«
    »Ich komme mit«, sagte sie sofort.
    »Nein. Auf keinen Fall! Ich werde dich ihm nicht noch einmal aussetzen.« Er streichelte mit den Fingerknöcheln über ihre Wange. »Diese Ähnlichkeit mit deiner Mutter«, murmelte er. »Lydia, du darfst dir deshalb keine Sorgen machen. Ich kümmere mich sofort darum.«
    James nahm den Zug, der kurz nach Tagesanbruch im Victoria Bahnhof losfuhr. Es war eine Direktverbindung nach Kedston, wo er sich für die fünf Meilen weite Fahrt zur Nervenheilanstalt eine Kutsche mietete. Die Anstalt lag etwas abgelegen von der Hauptstraße, die sich durch eine niedrige Hügellandschaft wand und zu ihren verschnörkelten schwarzen Toren führte. Ein paar Minuten lang sah er nur grasende Schafe und einen blauen Himmel, der so sanft war wie die Augen eines Babys. Eine Baumreihe tauchte auf, die nach kurzer Strecke den Blick auf eine kreisförmige Auffahrt freigab. Die Kutsche hielt an einer kurzen Treppe.
    Er stieg aus und blickte nach oben. Stellas Gefängnis war ein prachtvolles Herrenhaus, das sich mit etwa sechzig Zimmern in die Breite und drei Geschossen in die Höhe erstreckte. Am westlichen Ende erhob sich ein hoher Turm. Nach den Buntglasfenstern zu urteilen musste das die Kapelle sein, das Herzstück ihrer Besserung. Eine kurze Treppe führte hinauf zum Eingang; in das Bogenfeld des Portals war eine Inschrift gemeißelt: »Wenn der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen.« Mit einem verächtlichen Schnauben lief James darunter hindurch in die Eingangshalle.
    Er hatte ein Telegramm vorausgeschickt und seinen Besuch angekündigt. Wie er erwartet hatte, war Dwyer nicht anwesend. Eine junge Frau namens Miss Leadsom kam aus dem Büro, um ihn zu empfangen. Sie war so zierlich und braun wie ein Zaunkönig, und der zu schwer beladene Schlüsselbund an ihrer Taille verlieh ihr den Anschein haushälterischer Autorität. Sie versuchte zunächst, ihn abzuweisen, und erinnerte ihn daran, dass Stella keinen Besuch wünschte.
    »Wie ich bereits telegrafiert habe, bin ich fest entschlossen, sie zu sehen. Ich warte so lange in der Eingangshalle, bis sie ihre Meinung ändert.«
    Er nahm in einem weichen Sessel Platz. Der Morgentee wurde serviert und wieder abgetragen. »Bitte, Sir«, sagte Miss Leadsom. »Sie sagt, sie lässt sich nicht umstimmen.«
    »Schade«, antwortete er ungerührt. »Ich mich auch nicht.«
    Gegen Mittag begannen die Bediensteten, ihm im Vorbeigehen nervöse Blicke zuzuwerfen. Wieder erschien Miss Leadsom. »Mylord, sie fleht Sie an, wieder zu gehen.«
    »Sobald ich sie gesehen habe«, beharrte er grimmig.
    In der Eingangshalle gab es keine Uhren. War das Absicht? Ging der Lauf der Zeit den Irren auf die Nerven? Normalerweise hätte er das als schlechtes Zeichen für sich selbst interpretiert, doch heute störte ihn die Warterei überhaupt nicht. Irgendwann begannen die Buntglasfenster Schatten zu werfen. Er beobachtete, wie sie langsam über den Boden krochen. Die Worte seiner Stiefmutter kamen ihm in den Sinn: Blau, um den Geist zu beruhigen. Grün, um den Willen

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