Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
die meisten Stücke in Augenschein. Immerhin hat sie in den letzten drei Jahren den Großteil seiner Verkäufe organisiert.«
»Hat sie das hier auch gesehen?«
»Ich glaube nicht. Das war für Hartnett bestimmt. Er ist einer von Boyces speziellen Kunden.«
»Sie glauben es nicht, oder Sie wissen es nicht?«
Carnelly zögerte. »Nun, ich erinnere mich nicht. Ich führe kein Buch darüber. Ich müsste in meinen Akten nach den Anweisungen von Boyce sehen.«
James warf einen Blick auf die Unordnung in dem düsteren Lager. »Ihre Akten?«, fragte er skeptisch.
»Es dauert etwa eine Stunde«, sagte Carnelly. »Aber ich finde es.«
»Tun Sie das bitte.« Von einem unverschämten Blaustrumpf die Schau gestohlen zu bekommen, der besser über Antiquitäten Bescheid wusste als er selbst, war eine Sache. Aber von einer hinterhältigen alten Jungfer die Schau gestohlen zu bekommen, die mit seinem Vater Ränke geschmiedet und die ganze Szene möglicherweise arrangiert hatte, war etwas völlig anderes. Wenn dieses kleine Luder sich mit Moreland verschworen hatte, würde es ihr noch sehr leidtun.
3
»Was beschäftigt Sie, Miss Boyce?«
Lydia blickte erschreckt auf. Mr Romney hatte ihre lustlose Konversation vier Gänge lang ertragen und dann lieber mit der Dame zu seiner Linken geschwatzt, die nun jedoch auf ihrem Stuhl leise vor sich hin schnarchte. Ob das eher der ungeheuren Hitze vom Kamin, dem großzügig ausgeschenkten Wein oder Mr Romneys überlauter Stimme zuzuschreiben war, ließ sich nicht so genau sagen. Mrs Fillmore hatte vermutlich von Anfang an keine Chance gehabt.
Lydia räusperte sich. »Ich habe den hübschen Tisch betrachtet, den unsere Gastgeberin für uns gedeckt hat.« Sie deutete auf das Übermaß an silbernen Vasen und Kandelabern, unter denen sich der Tisch förmlich bog und durch das Lady Moreland eine raffinierte Mischung aus Efeu- und Blumenranken gewunden hatte. So viel griechische Schönheit hatte sich für mindestens einen Gast, den armen Lord Stratton, als unfreundlich erwiesen, der, kaum dass er Platz genommen hatte, durch einen Niesanfall gezwungen wurde, sich zu entschuldigen.
»Nichts Ungewöhnliches hier.« Mr Romney war blendender Laune. Er brach mit seinen Gewohnheiten und ließ die Gelegenheit ungenutzt verstreichen, sie über die saisonbedingten Gefahren von Völlerei und Zügellosigkeit zu belehren. »Nun sagen Sie mir, was die Damen von den Entwicklungen das neuste Bombardement betreffend halten.«
Lydia unterdrückte ein Seufzen. Mr Romney war vorhin mit großem Tamtam empfangen worden; irgendein polizeilicher Erfolg bezüglich einer irischen Verschwörung, die Scotland Yard und den Junior Carlton Club zum Ziel gehabt hatte. Natürlich war Mr Romney selbst nicht an dem Sieg beteiligt. Dennoch hatte er kraft seines Postens als Chefredakteur bei einer der größten Londoner Tageszeitungen die besondere Gabe, den Anschein zu erwecken, für alle guten Nachrichten verantwortlich zu sein. Denn er war meist derjenige, der sie verkündete. »Ich muss gestehen, wir sprechen nur wenig darüber«, gab Lydia zu. Als er die Stirn runzelte, fügte sie hinzu: »Die Ballsaison, wissen Sie … Sie ist wirklich anstrengend.«
»Ja, ja, dieser verflixte Brauch«, stimmte Mr Romney ihr zu. »Lange Abende und schwere Mahlzeiten! Aus solchem Wohlleben kann nichts Gutes kommen, das versichere ich Ihnen.«
Die Türen zum Speisezimmer sprangen auf.
Ein Raunen ging durch den Raum. Lydia ließ fast ihr Glas fallen. Auf der Schwelle stand Sanburne in voller Abendgarderobe, blickte von seinem Handschuh auf, den er soeben geradezog, und sandte ein freundliches Lächeln zum Tisch. Hatte er die Türen etwa aufgetreten ? »Guten Abend, alle zusammen.« Sein Blick huschte über die Anwesenden. » Ma mère . Und Vater! Du siehst prima aus.«
Moreland, den er ohne seinen Stock erwischt hatte, stützte sich mit seinen flachen Händen auf den Tisch, um sich hochzustemmen. Vorübergehend schien es, als gelänge ihm dies nicht. Ein Diener trat vor, um ihm behilflich zu sein, doch der Earl stieß ihn mit einem wütenden Grunzen mit dem Ellbogen weg und kam von selbst auf die Beine. »Was hat das zu bedeuten?«
»Ich habe Hunger«, erklärte Sanburne. »Countess, sehe ich da eine ägyptische Wachtel? Wie überaus passend.«
Lady Moreland, eine zierliche, zerbrechlich wirkende Frau mit ergrauenden blonden Haaren, reckte den Hals und warf einen Blick auf die Servierplatte mit Wildbret in der Hand des Dieners, der
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