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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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recht: Ich bin durch und durch nutzlos. Sie sollten sich jemand anderen suchen, der Ihnen hilft.«
    Seine Worte bereiteten ihr Unbehagen. Sie hatte ihn zwar nicht als nutzlos bezeichnet, aber in einem hatte er zweifellos recht: Es war im höchsten Maße unklug gewesen, ausgerechnet ihn darum zu bitten, sie zu begleiten. Sie schlang die Arme um sich und lief gesenkten Blickes an ihm vorbei. Wasser betupfte das Kopfsteinpflaster. Als sie die Pferdedroschke erreichten, regnete es so durchdringend, dass der Dreck zwischen den Pflastersteinen zu Schlamm wurde.
    Als der Fahrer zu ihnen herumkam, um ihnen die Tür zu öffnen, warf sie Sanburne einen raschen Blick zu. Seine Miene war reserviert, seine Haltung förmlich. Er hatte sich bereits von dem Vorfall distanziert. Dabei war sie erst vor einer Viertelstunde – es kam ihr vor wie ein ganzes Leben – mit ihm auf dem Dach gewesen, die Sonne hatte geschienen und sie hatte sich so sorglos gefühlt.
    Ein Impuls überkam sie. Er war nicht ganz so ungezügelt, um ihn als Leichtsinn zu bezeichnen. Sie erkannte die Logik dahinter: Sie wollte nicht, dass dieser besondere Moment einen so traurigen Abschluss fand. Es würde ihn so schrecklich mindern. Sie hörte sich fragen: »Fahren wir jetzt zum Gin Palace?«
    Das sicherte ihr seine Aufmerksamkeit. Sie konnte seine Miene nicht deuten, doch nach kurzem Zögern zuckte er mit den Achseln und sagte: »Warum eigentlich nicht? Ich kann weiß Gott ein Glas gebrauchen.«

10
    Lydia wusste nicht, was sie tat. Sie war kurzatmig und zu unsicher, um ihn anzusehen. Ihr Bedürfnis, die Angelegenheit zu bereinigen, schien ihr ganz neue Erfahrungsbereiche zu eröffnen. Immerhin würde sie nun in den Gin Palace gehen. Sie hatte ein solches Etablissement noch nie gesehen, doch als sie staunend an seiner Fassade hinaufblickte, schien ihr das weniger die Folge einer rechtschaffenen Lebensführung zu sein als ein Riesenzufall. Ein derartiges Gebäude wäre ihr auf keinen Fall entgangen, wäre sie je an einem vorbeigekommen. Über ihr thronten drei Stockwerke aus kunstvoll geformtem und vergoldetem Putz wie ein mitten in die trostlose Umgebung des Elendsviertels platziertes Märchenschloss. Doch gewiss hatte kein Schloss je einen derart fürchterlichen Gestank abgesondert. Der säuerliche Geruch von Alkohol vermischt mit dem köstlichen Aroma von Gebratenem. Sie schnupperte prüfend. Austern oder vielleicht auch Schnecken.
    Drinnen fielen ihr als Erstes die Hitze und der Lärm auf. Der lange Saal war zum Bersten voll und die unterschiedlichsten Gäste begrüßten einander lautstark, lachten, schlugen sich gegenseitig auf die Schulter, stießen miteinander an, klopften auf die Theke und stampften mit den Füßen auf. Arbeiter in groben Wollsachen saßen neben jungen Burschen in schlichten Anzügen, die wie Büroangestellte aussahen. Die Frau mit der Federboa, deren Gesicht mit Lippenlack und Rouge geschminkt war, überraschte Lydia nicht, doch die würdige Dame mittleren Alters im einfachen Kleid schien weniger naheliegend. Nur wenige Schritte entfernt flirteten zwei Mädchen in geflickten Kleidern mit einem jungen Mann. Keiner von ihnen sah einen Tag älter aus als siebzehn, und ihre Blässe legte nahe, dass sie ihr Geld lieber in Essen hätten investieren sollen. Doch sie lachten so fröhlich, dass Lydia unwillkürlich lächeln musste.
    Von sich selbst überrascht, schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Sucht kennt keine Klassenunterschiede.«
    Sanburne lachte kurz auf. »Sie sind also alle süchtig?«
    »Warum sollten sie sonst schon zu dieser Stunde gesundheitsschädliche Spirituosen zu sich nehmen?«
    »Aus Langeweile? Um sich auf angenehme Weise die Zeit zu vertreiben?«
    »Angenehm? Sich das Gehirn zu vergiften?«
    »Und das sagt eine Frau, die noch nie betrunken war.«
    »Bei Ihnen klingt das wie eine Schwäche.«
    Er zog eine Augenbraue hoch. »Und wenn ich das nun behaupte?«
    Sie wölbte ebenfalls eine Braue. »Dann erinnere ich Sie daran, dass ich noch nie fremde Hilfe nötig hatte, um meine Turnüre wieder geradezurücken.«
    Er sah sie überrascht an. Dann lächelte er. Ein ganz alltäglicher Vorgang, doch sie sah die Anerkennung darin. Ihr Herz schlug plötzlich laut.
    Hör auf damit , rief sie sich zur Ordnung. Du kennst die Regeln dieses Spiels nicht. Es ist unfassbar dumm, um seine Gunst zu buhlen. Als sie an ihm vorbei zur Bar gehen wollte, versperrte ihr ein Mann, der einen Korb mit gekochten Meeresfrüchten bei sich trug, den

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