Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
begreifen, wie du Handel betreiben kannst . Als hätte sie noch nie ein Paar Handschuhe getragen, das vom Erlös von Papas Artefakten finanziert worden war.
Lydia trat in die Säulenhalle hinaus. Der Rasen fiel schräg ab zu einem kleinen, vom Wind aufgepeitschten See. Als die Tür hinter ihr zuschlug, erschien ihr das wie ein Befehl. Sie würde erst wieder zurück ins Haus gehen, wenn das Spiel vorbei war.
Das Haus war eine gotische Monstrosität, die sich im Regen ausbreitete wie ein arroganter Wasserspeier. Als die Kutsche ihre Fahrt verlangsamte, öffnete James die Tür und sprang heraus. Er landete unsicher. Die Zufahrt verwandelte sich bei dieser Nässe in Schlamm; der Kies musste dringend einmal durchgekämmt werden.
Als er mit großen Schritten zum Eingang lief, fiel ihm etwas Eigenartiges auf. Das Erdgeschoss lag völlig im Dunkeln. Als er ungeduldig an die Eingangstür klopfte, schwang sie knarrend auf.
Ihm sträubten sich die Nackenhaare.
Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Ihm schossen die wildesten Vermutungen durch den Kopf. Daran war Phin schuld. Ein sehr gewagte Theorie, die er da über die Tränen aufgestellt hatte. Doch selbst wenn es einer ganzen Verbrecherbande gelungen wäre, James’ Reiseziel zu erahnen, hätten sie unmöglich das gesamte Personal überwältigen können, jedenfalls nicht in so kurzer Zeit. Hier war etwas anderes im Gange. Als er in die Eingangshalle trat, sah er den matten, schwankenden Schein einer Laterne, die sich durch die Halle entfernte. »He!«, rief er.
»Was ist?« Der Schein vollführte einen kleinen Tanz, drehte um und kam auf ihn zu. Als die Laterne hochgehalten wurde, sah er in das erschreckte Gesicht eines Dienstmädchens. »Oh, Sir! Sind Sie gerade erst eingetroffen? Wir haben keine Übernachtungsgäste mehr erwartet!«
»Ist das Gas ausgegangen?«
»Nein, Sir, die Gäste haben das Licht gelöscht. Sie spielen Fangen – oder haben es schon getan. Jetzt sind sie im Gewächshaus. Soll ich Ihnen die Laterne überlassen, Sir? Ich hole mir eine andere.«
Er schüttelte den Kopf. »Behalten Sie sie ruhig. Und … « Es war zwar nicht sein Haus, aber egal. Nach dem Schrecken, den man ihm eingejagt hatte, hätte er es lieber hell. »Schalten Sie die Lichter wieder an.«
»Ja, Sir.«
Er lief durch den Flur. Er war schon einmal in Bagley End gewesen, doch das war schon eine ganze Weile her. Jemand spielte Klavier. Er folgte den Klängen. Er wollte Lydia finden, ihr die Situation erklären und herausfinden, wo sie die anderen Fälschungen versteckt hielt. Er würde sie zertrümmern, sie dem angeheuerten Meuchelmörder aushändigen oder Phin überlassen, was auch immer ratsamer erschien. Et voilà: Damit hätte er seine Pflicht erfüllt und Heiligenstatus erlangt.
Als er das südlichste Vorzimmer erreichte, wurde die Musik lauter. Er schob die Taschenschiebetüren auf und fand sich im Esszimmer wieder. Ein Rätsel war gelöst: Der Großteil des Personals stand um die Glastüren herum, die sich zum Gewächshaus hin öffneten, und sah den Gästen dabei zu, wie sie zwischen den Bäumen tanzten und tranken. An einer Topfpalme entdeckte er Lydias Schwester, die lebhaft gestikulierend einen Mann anhimmelte. Nach dem Fangenspielen war sie leicht derangiert: Ihr Chignon zeigte Auflösungserscheinungen und einer ihrer Spitzenhandschuhe war bis zum Handgelenk eingerissen.
Als er an den Bediensteten vorbeilief, zuckten sie zusammen und stoben auseinander wie aufgeschreckte Tauben. Mr Joyner war anwesend sowie Lady Bulmer und Michael Hancock – ein übler Bursche, aber ein hervorragender Dichter. Die Pateshalls hatten wirklich Sinn für Kunst.
Lydia war nirgends zu sehen. »Lady Southerton«, rief er, doch die Dame befand sich in einer Art Trance: Sie lächelte fortwährend und hörte ihn nicht. Er trat an sie heran und berührte sie an der Schulter. »Madam.«
Sie wirbelte herum. »Viscount!« Sie warf ihrem Begleiter einen fiebrigen Blick zu. Der Mann war gertenschlank, ein schmächtiger Weiberheld mit engen Hosen und Monokel. Er schien zu den Bedauernswerten zu gehören, die puterrot anliefen, wenn sie ein bisschen getrunken hatten. »Mr Ensley hat uns soeben durch eine sehr eigentümliche Variante des Versteckspiels geführt. Oh, kennen Sie Mr Ensley?«
Ensley. Stimmte ja. »Wir kennen uns bereits«, sagte er. »Erbe einer Bankiersfamilie, ja?«
Ensley lächelte breit. »Dafür kann ich nichts.«
»Zudem noch ein Schürzenjäger und Falschspieler«, sagte
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