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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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drückte fester auf seinen Bizeps, als ihm angenehm sein konnte, doch er beklagte sich nicht. Gefiel es ihm etwa? Ach, es war ihr fast gleichgültig. Dieses rastlose, atemlose Gefühl, das sie durchfuhr, hätte Begierde sein können, konnte jedoch genauso gut Wut sein. Sie wusste jedoch mit Sicherheit, dass es falsch von ihr gewesen war, sich Sorgen darüber zu machen, was sie von sich preisgab oder was er oder sonst jemand von ihr halten könnte. Es war nicht die Meinung der anderen , die zählte. »Ich tue das nicht für dich«, sagte sie. Ich tue es für mich.
    Der Hauch eines Zögerns. Dann sagte er ganz leise: »Dagegen ist nichts einzuwenden.«
    Sie lächelte ironisch. Natürlich hatte er nichts dagegen einzuwenden. Was kümmerte es ihn, wenn sie aus egoistischen Motiven handelte? Dem Mann konnte man nicht wehtun, denn gegen die Meinung anderer war er immun. Deshalb hätte auch ihre Meinung für ihn nicht mehr Bedeutung als die einer Wildfremden. Soviel er wusste, hätte sie sich mit jedem Mann eingelassen, der heute Abend ihren Weg gekreuzt hätte. Sie war in der Stimmung und er kam ihr gelegen. Er stellte das nicht infrage. Und dass ihn das nicht kümmerte, sollte ihr nichts ausmachen.
    Er küsste sie. Die Wärme seiner Lippen verwirrte Lydia. Ihr war kalt gewesen, ohne dass es ihr bewusst gewesen war. Sie lehnte sich an ihn. Seine Zunge neckte ihre Lippen noch zu sanft für ihren Geschmack. Sie war kein verängstigtes Mädchen, das sich nach Fürsorglichkeit sehnte. Sie machte Anstalten, sich ihm zu entziehen und eine ironische Bemerkung zu machen, doch er packte sie auf einmal bei den Haaren und hielt sie fest. Sie schnappte nach Luft, als ein paar Haarnadeln absprangen und klimpernd zu Boden fielen. Er packte sie fester und drückte sie an sich, während sein Kuss forscher wurde. Ja , dachte sie, das – er bemächtigte sich ihres Mundes, als hätte er es schon tausendmal getan, als gäbe es keinen Raum mehr für Angst und Unsicherheit, nur das Streben, Neuland zu entdecken, etwas hervorzubringen, das für sie beide Überraschungen barg. Er erwies sich stets als klüger, als sie gedacht hatte.
    Nur undeutlich nahm sie wahr, wie seine freie Hand sich auf ihre Taille legte und sie wie beim Tanz drehte. Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt: Sie tanzte nicht gern. Männer gingen davon aus, dass alte Jungfern Aufregung brauchten. Vertrocknet . Deshalb machten sie es sich zum Prinzip, sie wild übers Parkett zu wirbeln. Einmal war sie sogar gestürzt und hatte seither alle Aufforderungen ausgeschlagen. Diese Demütigung hallte jetzt in ihr wider wie eine Vorahnung. Sie würde sich hier lächerlich machen. Sie würde etwas falsch machen.
    Doch er küsste sie nicht, wie man eine alte Jungfer küsste. Das hatte er nie getan. Zum Teufel damit! Selbst wenn sie stürzte, ihr war es egal! Sie würde heute die Führung übernehmen. Sie machte sich von ihm los und tänzelte lautlos zurück, leicht und flink. Regen trappelte schwach aufs Dach, doch die Atmosphäre im Schuppen war gedämpft und intensiv, reich an Erwartung. Damals im Museum, als sie neben ihm gesessen hatte, war sie verwundert gewesen, als ihr klar wurde, dass sie mit ihm flirtete. Doch erst jetzt, da sie das Flirten hinter sich gelassen hatte, wurde sie sich seiner wahren Natur bewusst. Es war unbeschwert, leicht und ziellos. Ihr Zurückweichen jetzt war zu kalkuliert, um kokett zu sein, sein stetiger Vormarsch zu leise und konzentriert. Sie einte jetzt ein gemeinsames Ziel, das sie mit archaischer Konsequenz verfolgten. In dem schummrigen Licht sah sein Gesicht ernst, fast grimmig aus. Auch sie verspürte keinerlei Verlangen zu lächeln, als sie mit den Schulterblättern gegen die Wand stieß.
    Seine flachen Hände trafen rechts und links von ihr auf. Über seiner Schulter leuchtete die Fensterreihe weiß auf, der Himmel erblasste und ließ sekundenlang eine Gruppe treibender Wolken erkennen. Dann nahm sein Mund ihren in Angriff. Sie tastete mit einer Hand nach seinem Ellenbogen und ließ ihre Handfläche davon ausfüllen, während seine Zunge dasselbe mit ihrem Mund tat. Mit der anderen Hand umfasste sie die Vertiefung an seinem Schädelansatz. Sie fühlte sich unerwartet weich an, und eine merkwürdige Zärtlichkeit stieg in ihr auf, die in gewaltigem Widerspruch zur Wildheit seines Kusses stand. Jeder Mensch war sein eigenes Land, dachte sie, beherrscht von einer eigenen Sprache, persönlichen Beweggründen und Gepflogenheiten. Sie selbst war immer noch

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