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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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gefahren damals?«
    Der Oberst schwieg einen Moment, dann strahlte er über das ganze Gesicht: »Also gut, Sie haben recht. Sind ja Polizist … Wie konnte ich das nur vergessen. Kommen wir zu Ihrem alten Freund aus Schulzeiten …«
    Auch wenn Billadier im Land der Schafe lebte und sich darin gefiel, sich selbst als ein solches auszugeben, der Kommissar dachte nicht daran, darauf hereinzufallen. Oberst Ernest A. Billadier war ein Mann des Kalten Krieges, daran gewöhnt, die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge geschickt zu verwischen und die Figuren auf dem Spielbrett so zu positionieren, wie es ihm am besten passte.
    Eschenbach kämpfte gegen seine Schläfrigkeit an. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass die sechs doppelten Whiskeys Teil eines Spiels sein konnten, auf das er sich mit dem Obersten eingelassen hatte. Die väterlich-joviale Art Billadiers war nur eine Tarnung, hinter der sich ein messerscharfer Verstand verbarg.
    »Banz war ein Schwachkopf«, sagte der Oberst, nachdem er am Tee genippt und die Tasse zurück auf das Tablett gestellt hatte. »Jakob hat sich Ende der neunziger Jahre verspekuliert. Als die Dotcom-Blase platzte, stand er da mit abgesägten Hosen. Da bin ich bei ihm eingestiegen. Das hat ihm natürlich nicht gefallen und mir besonders viel Spaß gemacht. Jakob konnte mich auf den Tod nicht ausstehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
    Ich habe Jakob immer gesagt, es kommt die Zeit, da wird Geld zu einem Problem. Für die Bank und für die Schweiz ganz allgemein. Es ist zu viel da, verstehen Sie? Ich meine jetzt nicht die paar Sparguthaben von Leuten, die acht Stunden am Tag arbeiten müssen und sich, wenn’s gutgeht, einmal ein Häuschen bauen können.
    Es sind auch nicht die Fluchtgelder und die Vermögen der Despoten, wie man uns immer wieder weismachen will. Die machen den kleinsten Teil aus.«
    An dieser Stelle hielt Billadier inne.
    Eschenbach schrak auf. Für einen kurzen Moment krallte er sich an der Lehne seines Sessels fest. Er musste eingenickt sein.
    »Die Gelder, die zu uns fließen«, der Oberst sprach nachdenklich weiter, »sind die Überschüsse der Reichen, Erfolgreichen und Superreichen dieser Welt. Leute aus dem umliegenden Eu­ropa, Russland und dem Kaukasus – aus Amerika, Südamerika und dem Mittleren Osten. Sie alle haben gute Gründe, unterschiedliche zwar, aber solche, die einen Sinn machen. Nehmen wir Europa – ein Desaster! Rettungsschirme werden aufgespannt für Tausende von Milliarden. Eine gigantische Caritas-Aktion für Blinde und Lahme, um ein System zu retten, das sich längst selbst überholt hat.«
    Der Kommissar griff zur Teetasse. Als er bemerkte, dass sie bereits leer war, lächelte er verlegen.
    »Wissen Sie, Eschenbach, die Rechnung für die Zeche der Staatsüberschuldung ist immer dieselbe. Sie heißt Inflation und höhere Steuern. Das trifft für Europa ebenso zu wie für die USA. Was die arabische Welt angeht, dort ist der Fall noch verzwickter. Dort haben sie zu viel Öl und mit Amerika einen äußerst unverlässlichen Partner. Wenn die Vereinigten Staaten das Öl nicht mehr kaufen können, dann werden sie es sich holen …«
    Eschenbach versuchte sich an die Fragen zu erinnern, die er mit Lenz erarbeitet hatte. Weil ihm nicht eine einzige mehr einfiel, dachte er an seine Notizen – und die steckten irgendwo in seinem Jackett. Der Kommissar hörte Billadiers Stimme, wie sie einmal ganz laut, dann wieder leiser wurde. Kaum noch vermochte er seine schweren Lider zu heben. Was er wahrnahm, verzerrte sich zu grotesken Bildern. Der Mund des Obersten schwoll zu einem gigantischen Schlund an, und aus seinem Schnurrbart schossen die Haare in Rostrot wie aus einem Wasserfall. Schließlich hatte Eschenbach das Gefühl, er säße vor einer dieser gigantischen Eisenplastiken von Richard Serra.
    »Die Gelder kommen zu uns, weil unser Land geradezu eine idiotische Stabilität aufweist. Wir haben die Weltkriege nicht nur überlebt, Herr Eschenbach – wir sind an ihnen gewachsen. So wie das Gras wächst, wenn es eine Woche regnet im Mai und nachher wieder die Sonne scheint. Mag sein, dass ein wenig politisches Geschick dazu nötig gewesen ist, mag sein. Aber ein besonderer Leistungsausweis ist es nicht.
    Einer der Lieblingssprüche von Jakob war der Satz mit dem Glück: I’d rather be lucky than smart . Eine alte Investmentbanker-Weisheit, die er aus London mitgebracht hatte. Ich finde, wir sollten sie als letzten Satz in unsere Nationalhymne

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