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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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John geschrieben hatte. Und zusammen mit Lenz hatten sie Billadiers Unterschrift studiert. Der Oberst hatte eine harte, männliche Feder geführt, eine, die sich überhaupt nicht vergleichen ließ mit dem Schriftzug auf diesem Papierstück.
    »Zufällig kenne ich die Handschrift Ihres Chefs ziemlich genau.«
    Chester wollte aufstehen.
    »Aber nein«, bat Eschenbach. »Sie beide konnten das ja nicht wissen. Ich meine, dass ich Billadiers Handschrift kenne.«
    »Es sind aber seine Worte!«
    »Er hat den Brief diktiert, nicht wahr? Es ist Ihre Schrift.«
    Die alte Frau sah an ihm vorbei wie ein Kind, das bei einer Lüge ertappt worden ist. Dann schoss sie wie eine Furie vom Sofa hoch, wirbelte zu Eschenbach herum, ballte die kleinen Hände zu Fäusten und sah nun ihrerseits Eschenbach direkt in die Augen.
    »Er kann es nicht mehr!« Sie spie jedes einzelne Wort aus.
    Eschenbach zuckte zusammen.
    »Sie können das nicht verstehen.« Sie holte Luft, wirkte plötzlich verzweifelt.
    Der Kommissar stand nun ebenfalls auf. Er versuchte die alte Frau zu beruhigen.
    »Es hat damit angefangen, dass er den Geruch seiner geliebten Rosen nicht mehr wahrnahm …«, begann Chester zögerlich. »Und mit Schmerzen in den Gelenken. Zuerst haben wir gedacht, es sei Rheuma. Aber dann kam das Zittern … und die Angstzustände in der Nacht.«
    Langsam ließ sich Chester zurück zur Couch führen. Auch Eschenbach setzte sich wieder.
    »Was glauben Sie, warum Sie gestern sturzbetrunken hier aufgetaucht sind? Zu betrunken, um zu erkennen, wie es um den Colonel steht. Das war kein Zufall. Nichts ist Zufall … Ernest hat Brodie damit beauftragt, Sie auf unser Gespräch vorzubereiten …«
    Es war schön, Sie noch einmal zu sehen, Eschenbach –
    zum letzten Mal. Wenn Sie mit Chester das Frühstück einnehmen und diese Zeilen lesen, dann bin ich nicht mehr da, nicht mehr von dieser Welt.
    Jedes Spiel und jeder Kampf hat ein Ende.
    Ich habe mein Leben lang für die Freiheit gekämpft, für die Unabhängigkeit unseres Landes, im Sinn und Geiste von Gui­san. Der General ist mir ein Vorbild geworden in einer Zeit, als die Vorbilder rar waren. Auch heute ist es wieder so weit: Der Wohlstand hat einen bequemen Teppich ausgelegt, auf dem verweichlichte Geister ihre Pfründe verteidigen. Und keiner schaut über den Teppichrand hinaus und sieht, dass es der Boden ist, den wir verlieren – der Boden selbstbestimmten Handelns.
    Es ist schade, dass die Zeit nicht mehr reicht. Aber ich habe einen Gegner, der auch mir die Unabhängigkeit entreißen will. Ein zäher Bursche, Morbus Parkinson – er hat sich eine ganze Weile an mir die Zähne ausgebissen. Aber jetzt hat er Verstärkung bekommen. Ein gewisser Lewy ist ihm zu Hilfe geeilt. Zwei gegen einen – was soll man da machen?
    Im Moment bin ich noch bei bestem Verstand. Und deshalb will ich das Ende angehen. Sie wissen: Das Planen ist mein Stecken­pferd – ich mag das Blaupausen nicht gerne andern überlassen.
    Wenn Sie zurück in der Schweiz sind, wird alles geregelt sein. Man wird Judith entlassen. Sie hat mit dem Tod von Jakob nichts zu tun. Sie wissen das. Judith ist dummerweise in die Schusslinie geraten, durch ein Nebengefecht, das ich mit Jakob führen musste, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat.
    Das neue Bankensystem, das ich mit meinen Weggefährten aufgebaut habe – es braucht Judith. Sie ist ein freier Geist. Alles Weitere wird sich zeigen.
    Mit kameradschaftlichem Gruß
    Oberst Ernest A. Billadier
    Nachdem Eschenbach die Nachricht gelesen hatte, musterte er Chester von der Seite. Der alten Dame war die Erschütterung anzusehen.
    »Den Inhalt kennen Sie ja bereits.«
    »Lewy body desease«, murmelte die alte Frau. Dann saß sie wie versteinert da und schwieg.
    Lewy-Körper-Krankheit – was immer es bedeutete –, Chester schien davon Kenntnis zu haben. Der Kommissar fragte sich, was sie sonst noch über Billadier wusste. Über seine Zeit beim Geheimdienst und über den Feldzug, den er als Präsident bei Duprey führte, seine Pläne und Absichten. Der Oberst brauchte jemanden, der ihm half. Eine Vertrauensperson wie Chester, die für ihn die Korrespondenz führte und ihm in den kleinen Dingen des Lebens behilflich war.
    Ohne das Kleine ist das Große nicht zu meistern.
    »Dass ihm sein Hirn abhandenkommt, davor hat sich Ernest immer gefürchtet.« Chesters Stimme war ganz leise. »Seit wir den Bescheid hatten, dass er an Parkinson leidet, war dieses Thema

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