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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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die Drinks aufs Haus gingen. Weil er, Eschenbach, ja schließlich ein Gast des Colonels sei und weil er, Brodie, sich glücklich schätze, einen so freund­lichen Menschen bewirten zu dürfen.
    Dieser Argumentationskette folgend, fanden noch zwei weitere Gläser Whiskey ihren vorbestimmten Weg.
    Eine Dreiviertelstunde später, angeschlagen wie ein Boxer in der vorletzten Runde, mit einer Skizze in der einen Hand und einer vollen Flasche Annie’s Best in der anderen, verließ der Kommissar das Dead End. (Brodie hatte ihm den Whiskey geschenkt, wie konnte er da ablehnen?)
    Mit heruntergekurbeltem Fenster, durch das er immer wieder seinen Kopf streckte, und mit Brodies Zeichnung auf dem Nebensitz fuhr Eschenbach weiter. Einmal erschrak er etwas, als ihm tatsächlich auf seiner Seite ein Wagen entgegenkam.
    Dann fand er den Ort, der auf dem Plan mit einem großen Kreuz markiert war: Annie’s Landmark, ein rund zwanzig Hektar großes Anwesen auf einer kleinen Anhöhe östlich von Cork.
    Ein mächtiges Eisengitter öffnete sich langsam und gab die Zufahrt zum Landgut frei.
    Der Weg führte zuerst durch einen Birkenwald und etwas später über eine Wiese, auf der eine Herde Schafe weidete. Eschenbach glaubte, auch ein paar Pferde zu erkennen. Waren es Ponys? Oder vielleicht doch nur große Schafe?
    In gemächlichem Tempo, beinahe kriechend, näherte sich der Kommissar dem Hauptgebäude. Er dachte an Judith. Hier war sie also aufgewachsen: in einem zweigeschossigen Haus aus hellem Backstein, unter einem ausladenden Walmdach.
    Weißer Rauch stieg aus einem der Kamine.
    Hundert Meter vor dem Ziel ließ der Kommissar den Wagen stehen. Er brauchte noch ein paar Schritte. Es war ihm plötzlich vollkommen unverständlich, dass er sich in diesem Pub so hatte gehenlassen. Gerade jetzt, vor diesem wichtigen Gespräch. hätte er einen klaren Kopf gebraucht.
    Während er ging, schlenkerte Eschenbach mit den Armen und atmete tief ein und aus. Er kramte ein Pfefferminz aus der Tasche hervor. Der Versuch, einem imaginären Strich am Boden zu folgen – nur so als Test –, verlief erfreulich. Es gelang ihm hervorragend, fand er.
    Die alte Frau, die Eschenbach die Tür öffnete, sah aus wie ein Engel im Ruhestand. Sie lächelte freundlich aus ihrem runden Gesicht, hatte weißes, krauses Haar und rote Wangen. »Sie sind der Mann aus der Schweiz, eh?«, fragte sie.
    »R-r-right.«
    »Der Colonel ist in seinem Garten. Am besten, Sie gehen ums Haus herum. Sie werden ihn schon finden.«
    Ein mit Steinplatten ausgelegter Weg führte den Kommissar auf die hintere Seite des Gebäudes. Solange er die Platten mittig traf, konnte es nicht so schlecht um ihn bestellt sein. Als er den Blick hob, öffnete sich vor ihm ein prächtiger Rosengarten. Halb verdeckt von einem Rosenstrauch mit großen weißen Blüten, stand der Oberst. In Offiziershaltung, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, als spräche er mit seiner Truppe. Auf dem Kopf trug er einen alten dunkelbraunen Filzhut.
    Eschenbach ging langsam auf ihn zu. Der kühle Wind, der plötzlich aufgekommen war, tat ihm gut.
    Billadier hob seinen Hut, blinzelte gegen die Sonne, und als er Eschenbach erblickte, eilte er – mit den Händen tief in den Jackentaschen – dem Kommissar entgegen.
    »Sie sind ein hartnäckiger Hund, Eschenbach!«
    Diese Art Begrüßung hatte der Kommissar schon ein paarmal in seinem Leben gehört. Nur hier, so wie der Oberst sie betonte und ihn dabei ansah, hatte er den Eindruck, als klängen die Worte respektvoll.
    Der alte Mann mit dem Schnurrbart hatte ein freundliches, von Furchen durchzogenes Gesicht. Seine Haare waren hell, fast weiß, und die blauen Augen funkelten kämpferisch. Er hatte nichts mehr gemeinsam mit dem jungen Offizier, dessen Foto Eschenbach bei Lenz gesehen hatte. Und trotzdem erkannte der Kommissar den Mann wieder. Auch wenn auf dessen Nase anstelle der Hornbrille nun ein feines Goldgestell saß. Sie waren sich schon einmal begegnet, vor ungefähr drei Wochen.
    »Sie haben mir in Einsiedeln die Zeitungen gekauft«, sagte Eschenbach mit einem Schmunzeln. »Das waren Sie, nicht wahr?«
    Billadier nickte Eschenbach zu, ohne ihm die Hand zu reichen. »Allerdings. Da haben Sie ausgesehen wie ein Schaf kurz vor der Schlachtung. Damals hätte ich keinen Penny darauf gewettet, dass Sie es einmal bis hierher schaffen würden.«
    »So täuscht man sich.«
    »Selten, aber gerne.«
    Der Oberst führte Eschenbach zwischen den Sträuchern hindurch in Richtung

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