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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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aufnehmen. Wir können zu Gott beten, aber was nützt es … Am Ende braucht es vor allem Glück.«
    Eschenbachs Glück bestand darin, dass er eingeschlafen war. Er verpasste den letzten Teil der Brandrede des Obersten. Vermutlich wäre der Kommissar erstaunt darüber gewesen, welchen Bogen Billadiers Gedanken schlugen und wohin ihn diese Gedanken gegen Ende seines Vortrags führten.
    »Alle regen sich auf über die Dienstleistung der Sterbehilfe, aber das ist Schwachsinn. Denn mit dem Alter ist es wie mit dem Geld. Der Nutzen schwindet, je mehr man davon hat … und irgendwann ist es nur noch eine Last.«

Kapitel 28
    Eine Holzzockel-Expedition
    E s war der Geruch von Kaffee, der Eschenbach am nächsten Morgen in eine völlige Orientierungslosigkeit stürzte. Der Kommissar öffnete die Augen. Er lag auf einer Couch in einem Wohnzimmer, noch immer in Straßenkleidern, zugedeckt mit seinem Jackett und einer grauen Wolldecke. Neben ihm, auf einem Beistelltisch, stand ein Tablett: helles Porzellangeschirr mit Rosenmustern schimmerte im einfallenden Licht. Daneben lag Silberbesteck. In einem Körbchen entdeckte er vier dünne Scheiben dunkles Brot.
    »Ich habe gedacht, ein Frühstück bringt Sie wieder auf die Beine.«
    Chester stand neben ihm. Sie blickte mit sorgenvoller Miene auf ihn hinunter.
    »Ins Gästezimmer konnten wir Sie leider nicht tragen.«
    Eschenbach richtete sich auf und stöhnte. In seinem Kopf brummte ein Bienenschwarm. Und doch hatte er die Szene vom Vorabend wieder vor Augen. Auf dem Ohrensessel schräg gegenüber der Couch hatte er gesessen, während ihm der Oberst die Welt erklärte.
    »Es war nicht nur der Whiskey.« Chester blinzelte. Sie trug ein geblümtes Chiffonkleid, hatte ihr weißes Haar kunstvoll hochgesteckt und tastete nun vorsichtig die Frisur ab.
    »Ein Schlafmittel …«, brummte der Kommissar. Er hob den Deckel des Porzellankännchens an und roch das kräftige Aroma. »Ich hab’s erst gemerkt, als es schon zu spät war.«
    »Es war etwas zu viel, hat der Colonel gemeint.« Sie zuckte die Achseln. »Aber ich konnte ja nicht wissen, dass Sie den Tee geradezu hinunterstürzen würden.«
    Eschenbach goss Kaffee in die Tasse und trank.
    »Diesmal hab ich nichts hineingetan.«
    »Lassen Sie mich raten«, sagte der Kommissar und verzog den Mund. »Als Nächstes werden Sie mir bestimmt sagen, dass Ihr netter Herr Oberst verschwunden ist. Dringend auf Reise …«
    Chester senkte den Blick.
    Es war die Geschichte mit den Holzzockeln, die Eschenbach in diesem Moment in den Sinn kam. In den frühen siebziger Jahren, als diese Schuhe, gewissermaßen als Früchte der HippieBewegung, groß in Mode gekommen waren, da war er einmal mit ihnen auf einen Berg gestiegen. Nicht auf den Mount Everest, auch nicht auf den Monte Basòdino. Ein unbedeutender Berg im Tessin war es gewesen, so unbedeutend, dass Eschenbach sich nicht einmal an den Namen erinnern konnte. Seine Freunde Gregor Allenspach und Christian Pollack waren ebenfalls mit von der Partie gewesen. Auch in Zockeln.
    Bei schönstem Wetter zogen sie los, einfach nur, weil einer von ihnen (wer, wusste keiner mehr) diese idiotische Idee gehabt hatte. Auf halbem Weg erschien ihnen der Berg höher und steiler, als er von weitem ausgesehen hatte. Jetzt erst recht, dachten sie und kraxelten weiter, auf steinigem Geröll immer höher. In ihrem Eifer merkten sie nicht, dass das Wetter umschlug. Und später, als sie frierend im strömenden Regen standen, mitten in einer felsigen Wand, die viel zu glitschig geworden war, als dass man mit den Zockeln auch nur noch einen einzigen Schritt hätte machen können, da war ihnen in den Sinn gekommen, dass sie nicht einmal Proviant dabeihatten.
    Der Bergungstrupp, der sie Stunden später aus ihrer misslichen Lage befreite, war sprachlos gewesen. Nur verachtende Blicke hatte es gegeben. Nicht ein einziges Wort. Weder auf Deutsch noch auf Italienisch. Und drei Tage später stand die Geschichte in der Zeitung, mit einem Bild und der Überschrift: Die Zockel-Idioten von Zürich.
    »Der Colonel ist tatsächlich abgereist«, sagte Chester. »Ges­tern Abend. Sein Freund Rowan ist vorbeigekommen … Sie haben noch etwas getrunken, und dann sind sie gegangen. Mitten in der Nacht.«
    »Wissen Sie, wohin sie gefahren sind?«
    »Geflogen«, sagte Chester. »Rowan Haughey ist Pilot, er fliegt den Colonel und begleitet ihn auf Reisen.«
    »Mitten in der Nacht?«
    Chester sah zum Fenster. »Der Flugplatz ist zwei Meilen

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