Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
denn er mochte die Langsamkeit. Für ihn lag in der Ruhe die Kraft.
    In einem großen Bogen flog die Maschine über den Norden der Stadt, gewann langsam an Höhe, und Eschenbach war, als verlöre er gegen seinen Willen den Boden unter den Füßen. Matt und von einer leichten Melancholie erfasst, blickte er zum Fens­ter hinaus. Wie schnell war die Zeit in Kanada vergangen. Die herbstliche Abendsonne beschien die mit Nadelhölzern bewaldeten Hänge, die nahtlos in das dunkle Blau des Pazifiks übergingen. Etwas außerhalb der Stadt hatte die Holzindustrie Lagunen angelegt. Hunderttausende von geschälten Baumstämmen schwammen dicht an dicht; eine fette Beute, die Kolonien von Holzarbeitern aus den saftigen Wäldern des Umlands geschlagen hatten. Aus der Höhe betrachtet, sah es aus wie ein enggewobener Teppich aus Streichhölzern, die in der Abendsonne blassrosa schimmerten.
    Eschenbach fröstelte. Einen kurzen Moment überlegte er, ob er das Abendessen noch abwarten sollte; dann entschied er sich dagegen. Er bat einen der Flight Attendants, ihm eine Decke zu bringen, und nahm eine Schlaftablette.
    Seine Gedanken kreisten um das Gespräch mit Banz. Es war ein großzügiges Angebot, das ihm der Bankier gemacht hatte. Ein Jahressalär von fünfhunderttausend Schweizer Franken; mehr als doppelt so viel, wie er in seiner Funktion als Leiter der Kripo verdiente. Außerdem gab es die Aussicht auf einen Bonus. Eine »erfolgsabhängige Zusatzentschädigung« hatte es Banz genannt. Die politische Diskussion über die exorbitanten Boni in der Finanzbranche hatte die Banker bewogen, ihren Wortschatz zu ändern; aber das System war noch immer dasselbe.
    Das Schlafmittel begann langsam zu wirken. Dösend dachte Eschenbach an Corina. Was hatte sie gemeint, als sie zum Abschied sagte, sie würde hinter ihm stehen, egal, wie er sich entscheiden würde? Sie war ja dabei gewesen, als er Banz eine Abfuhr erteilt hatte. Warum akzeptierte sie seinen Entscheid nicht? Auf einmal hatte der Kommissar das ungute Gefühl, dass es doch die hohe Geldsumme war, die Corina imponierte. Corina, die sich sonst nie etwas aus Geld gemacht hatte. Was war gesche­hen?
    Auf nichts war mehr Verlass, außer auf die Pharmaindustrie am Basler Rheinknie.
    Die 7,5 Milligramm Dormicum taten ihre Wirkung.
    Gerädert und mit einem Anflug von Klaustrophobie erwachte Eschenbach eine halbe Stunde bevor die Boeing 747 in London landete.
    In Heathrow wechselte der Kommissar das Terminal und hörte seine Combox ab. Zweimal Claudio und einmal Rosa. Was sie ihm berichteten, wusste der Kommissar zum Teil schon von Banz: Max Hösli hatte seine Stelle als neuer Kommandant der Kantonspolizei tatsächlich auf sicher.
    Aber es kam noch dicker. Mit aufgebrachter Stimme erzählte Rosa, was in den letzten Tagen vorgefallen war:
    »… und dann kommt gestern plötzlich dieses interne Kommuniqué mit einem neuen Organigramm. Stellen Sie sich vor: Im Kästchen Leitung Kriminalpolizei , also dort, wo Ihr Name hingehört … Ich meine, dort steht jetzt N.N. Die haben Sie völlig vergessen, Kommissario!«
    Nomen nominandum hieß nicht, dass man ihn vergessen hatte, das wusste Eschenbach. Es bedeutete, dass Hösli ihn als Kripochef in Frage stellte, womöglich auch nicht mehr haben wollte. Sprachlos stand er da und konnte das Gehörte kaum fassen. Ein übles Spiel war im Gang, und er verfluchte sich für das blinde Vertrauen, das er dem kantonalen Polizeiapparat entgegengebracht hatte – aus Nachlässigkeit oder, was noch viel schlimmer zu ertragen war, aus purem Egoismus.
    Trotz des tragischen Todes seiner Chefin hatte er beschlossen, an seinen Kanada-Plänen festzuhalten. Rosa und Claudio – sie waren über all die Jahre im Polizeidienst nicht nur treue Mitar­beiter gewesen – nein, sie waren Freunde geworden. Der Kommissar wurde das Gefühl nicht los, dass er sie hatte hängenlassen.
    Eschenbach starrte auf die Anzeigetafel. Alle paar Sekunden wurden Dutzende von Zeilen gelöscht und neu angezeigt. Menschen, die nur flüchtig einen Blick darauf geworfen hatten, rannten gleich wieder weiter, wuselten durch das Gedränge. Jeder wusste, wohin er wollte. Es gab keine Fluchtwege in diesem gigantischen Spiel, das sich zwischen Terminals und Flugsteigen zutrug. Es war ein Rennen von Gate zu Gate.
    Die Menschheit ist eine große, sich selbst organisierende Viehherde, dachte Eschenbach und wählte eine Nummer aus dem Adressbuch seines Handys an.
    Rosa meldete sich sofort. Ihre Stimme

Weitere Kostenlose Bücher