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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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im Fahrer eine Pik-Neun; die beiden anderen waren jeweils eine Herz-Sechs. Keine gute Kombination. Es würde ein schwieriger Abend werden, dessen war sie sich nun sicher.
    Schon nach den ersten vier Runden zeigte sich, dass die Leute vom Pokerspiel nicht allzu viel verstanden. Es waren Zocker, denen es vor allem um den kurzfristigen Kick ging. Sie spielten aggressiv, und, was noch schlimmer war, sie hatten Glück. So schien es wenigstens. Zudem tranken sie in großen Mengen Wodka, blieben einsilbig – und wenn es einmal einen Wortwechsel gab, dann in einer Sprache, die Judith nicht verstand.
    Dabei hatte das Pokerspiel eine ganz andere Dimension. Man durfte dem Geld keine zentrale Bedeutung beimessen. Es ging um die Art, wie sich die Karten in immer wechselnden Forma­tionen zeigten. Wie ein Blatt sich nach seinem eigenen Gesetz entwickeln konnte – während ein anderes nie zur Blüte heranreifte.
    Die Fachpresse hatte ihr immer wieder unterstellt, dass sie ihr Spiel einzig und allein der Mathematik unterwarf, den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit also. Aber das stimmte nicht. Denn wenn sie in ein Spiel hineinfand, gelang es ihr meist, die Situa­tionen ihrer Bestimmung nach zu erfassen. Dann wusste sie schon von vornherein, wohin die Karten gingen. Sie erkannte den Rosenbusch, längst bevor die erste Knospe spross; und sie verwarf den Buchenstrauch, in dem nichts Blühendes angelegt war. Das einzige Problem war, dass sich Judiths Sicht auf die Wesenheit des Spiels eintrübte, wenn sie sich durch einen großen Pot und einen möglichen Gewinn ablenken ließ.
    Nach eineinhalb Stunden wusste Judith, dass mit dem Kartenspiel der Männer etwas nicht stimmte. Man betrog sie, dessen war sie sich zu hundert Prozent sicher. Sie hatte schon von Anfang an kein gutes Gefühl gehabt. Jetzt musste sie sehen, wie sie aus der Situation herauskam. So wie sie die Männer einschätzte, hatte es wenig Sinn, sich auf einen Streit einzulassen.
    »I quit« , sagte sie mit einem Lächeln. Judith sah den Fahrer an, der ihr am Tisch gegenübersaß. »Sie alle spielen sehr gut. Ich bin beeindruckt.«
    Einer der Herz-Sechser grinste und sagte ein paar Sätze.
    »Mein Freund meint, Sie weiterspielen«, übersetzte ihr Gegenüber. »Weil Glück kommt jetzt auch für Sie.«
    Judith sah auf die Uhr und seufzte. »Leider geht mein Zug in einer halben Stunde.« Sie zählte ihre restlichen Jetons. Über zehntausend Franken würde sie liegen lassen. Auch wenn sie schon viel höhere Summen verloren hatte, es war ein Verlust, der sie nervte. Deshalb nervte, weil sie nachlässig geworden war und ihre Abende nicht mehr seriös vorbereitete. Trotzdem blieb Judith ruhig. Sie griff zur Handtasche.
    »Ich werde Ihnen einen Scheck ausstellen.«
    »Bei uns immer cash «, sagte der Fahrer und stand auf.
    Judith zuckte die Schultern. »Also gut«, sagte sie. »Wenn Sie mich zum Bahnhof bringen … Dort ist ein Geldautomat.«
    »Okay«, meinte der Mann.
    Judith nahm ihre Tasche und stand auf. Sie hatte schon ein paar Schritte in Richtung Tür gemacht, als sich einer der Herz-Sechser ihr plötzlich in den Weg stellte. Breitbeinig, mit einer Wodkaflasche in der Hand. Sein Blick war ohne Scham auf ihre Bluse gerichtet.
    »Wir können machen anderes Geschäft«, sagte der Fahrer hinter ihr.
    »Ficken«, sagte der Sechser, diesmal auf Deutsch. Er nahm einen Schluck aus der Flasche und grinste.
    »Ich werde bezahlen«, sagte Judith. Sie sah dem Mann vor ihr in die Augen. »Mit Geld, that’s it .«
    Der Mann ließ die Flasche langsam sinken. Dann spie er ihr den Wodka, den er im Mund gesammelt hatte, mitten ins Gesicht.
    Judith stand da wie versteinert. Ihr Gesicht war nass, und ihre Augen brannten. Einen kurzen Augenblick verlor sie die Kontrolle. Sie verpasste dem Mann eine schallende Ohrfeige.
    Der rote Sechser lachte, bevor er mit der Faust zurückschlug.
    Judith taumelte und fiel zu Boden.
    Sie hätte auf diese Provokation nicht eingehen dürfen, dachte sie. Langsam rappelte sich Judith wieder auf. Der Sechser war noch immer da, stand wie eine Wand zwischen ihr und der Tür.
    Judith überlegte.
    »Okay, dann halt ficken.« Gemächlich ging sie die paar Schrit­te zurück, legte ihre Handtasche auf einen Stuhl und setzte sich auf die Tischkante. Sie öffnete ihre Bluse etwas, zog ihre Schuhe aus und beobachtete, was geschah.
    Zwischen den Männern entspann sich ein heftiger Wortwechsel. Judith verstand kein Wort. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich über das

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