Rütlischwur
einer vielbeachteten Lizentiatsarbeit über The Nash-Equilibrium And Its Influence to Modern Game Theory . Eine bemerkenswerte Leistung. Ich gratuliere.«
Judith zeigte keine Regung. Sie mochte Zimmer nicht, egal, was er sagte.
»Das ist kein Kompliment, sondern eine reine Feststellung. In Ihrem Fall wohl eine genetische Prädisposition. Sie können nichts dafür.«
Eine kurze Pause entstand. Judith vermutete, dass auch diese sorgfältig geplant war und die Männer auf jede ihrer Regungen achteten. So wie sie die Situation einschätzte, wusste Zimmer vom Autounfall ihrer Eltern. Sie war damals vier Jahre alt gewesen, zu jung, als dass sie sich hätte erinnern können. Ihre genetische Disposition lag unter der irischen Erde – Staub zu Staub.
In ihrem kleinen Zählspiel war Judith bei der Pik-Drei angelangt, als Zimmer sich räusperte und das Gespräch wiederaufnahm.
»Sie sind eine gute Pokerspielerin.«
»Früher war ich es«, sagte Judith. »Das ist richtig.«
Zimmer nickte, dann sah er zur Seite. »Ihre Fragen, Max.«
Der Mann rechts neben Zimmer war klein und rundlich, mit geröteten Wangen und Stirnglatze. Er hatte eine breite, kräftige Nase, darunter einen kurz getrimmten Schnurrbart; ein Gesicht, das Judith unter Tausenden wiedererkennen würde. Er hatte sich zu Beginn der Sitzung nicht vorgestellt. Jetzt tat er es: Max Hösli, neu berufener Leiter der Zürcher Kantonspolizei.
Hösli schien ein tüchtiger, intelligenter Mann zu sein, der unter seinem Namen und der geringen Körpergröße litt und deshalb auf die Macht seiner Position angewiesen war. Ein typischer Herz-Bube, dachte Judith. Einer, der gerne ein König wäre – und der vermutlich mit Frauen Probleme hatte.
»Ihr Chef bescheinigt Ihnen, dass Sie ehrgeizig sind«, begann Hösli etwas umständlich und stützte dabei die Ellbogen auf die Tischplatte.
»Ich will Geld verdienen, das ist alles«, sagte Judith.
»Und deshalb sind Sie zur FINMA ?« Hösli zog die Augenbrauen hoch.
»Nein.«
»Was meinen Sie damit?«
»Dort wo ich hinwollte, hat man mich abgelehnt.«
»Und wo wollten Sie hin?«
Judith nannte die Namen von zwei Investmentbanken.
»Und die nehmen dort keine Frauen?«
»Mich wollten sie nicht.« Judith lachte. »Keine Ahnung, ob sie Frauen nehmen.«
»Schmerzt Sie das?«
»Ja.«
»Komm endlich zur Sache, Max«, sagte der schwarze König.
»Also gut.« Hösli nahm seine Ellbogen vom Tisch und lehnte sich zurück. »Sie wollten aber auch zur Banque Duprey.«
»Nein.«
»Waren aber mit denen im Gespräch, oder?«
»Ja.«
»Warum haben Sie das vorhin nicht erwähnt?«
»Sie haben mich gefragt, wo ich hinwollte. Duprey war für mich nie ein Thema.«
»Die Bank will Sie aber.«
Judith schwieg.
»Ich möchte die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen«, meldete sich der schwarze König. »Sie haben abgelehnt, weil’s vermutlich ein Scheißjob ist. Wenn ich in Ihre Unterlagen schaue, kann ich das verstehen. Duprey ist nicht Goldman Sachs.«
»Genau«, sagte Hösli.
»Wir wären froh, wenn Sie sich das nochmals überlegten.« Paul Zimmer faltete seinen Notizzettel ein weiteres Mal. »Die Banque Duprey will Sie – das ist der dritte Grund, weshalb wir Sie heute vorgeladen haben: Wir möchten, dass Sie diese Stelle annehmen.«
Judith vermied es, sofort zu reagieren. Sie dachte nach. Das Blatt, das sich vor ihrem geistigen Auge auftat, hatte kein Gesicht. Nur niedrige Zahlen in einem mutlosen Mix aus allen vier Farben. Es war eine offene Ausgangssituation:
Judith war schleierhaft, weshalb man sie für Duprey gewinnen wollte. Sie hatte ihre Gründe, weshalb die Bank für sie nicht zur Debatte stand. Gründe, die sie den Männern nicht auf die Nase binden wollte. Hinzu kam, dass ihr Job bei der FINMA attraktiv war. Nicht unbedingt, was die Entlöhnung betraf. Da gab es Besseres. Es war vielmehr die Gelegenheit, von Staats wegen hinter die Kulissen einer mächtigen Industrie zu blicken. Man musste für sie Bücher öffnen, in die sonst kaum einer hineinsehen konnte. Das war das Reizvolle daran.
»Ich bin mit meinem Job sehr zufrieden«, sagte sie in sanftem Ton. »Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb ich dieses Angebot annehmen soll?«
Paul Zimmer schien auf diesen Moment gewartet zu haben. Er beugte sich über den Tisch und gab Judith den zusammengefalteten Zettel. »Das könnte ein Grund sein.«
Judith entfaltete das Papier und las Zimmers Notiz. Es war eine Zahl, sonst nichts: eine Fünf mit fünf
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