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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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gewesen, der Anwalt hätte als Schutzengel eine gute Figur gemacht.
    Eschenbach riss sich zusammen und konzentrierte sich auf die Speisekarte. Christian hatte keine Mühe, ihn zu einem flambierten Rehrücken für zwei Personen zu überreden.
    »Die Privatbanken brauchen jetzt Leute wie dich«, sagte der Anwalt. »Bei denen brennt’s nämlich.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob man mit dreiundfünfzig noch sein Leben auf den Kopf stellen sollte.«
    »Ehrlich gesagt, ich hab dich schon kämpferischer erlebt.« Christian hob das Kinn. »Ich meine, dass dieser Hösli dich im neuen Organigramm nicht mehr aufführt … Das ist doch eine Riesenprovokation!« Der Anwalt schaute Eschenbach direkt in die Augen. »Du hast es doch nicht nötig, bei dem zu Kreuze zu kriechen. Schon gar nicht mit einem solchen Angebot von Duprey in der Tasche. Das macht dich doch völlig unabhängig von diesem Hösli … Also ich würd den das spüren lassen.«
    Eschenbach nickte. Unwillkürlich musste er lachen.
    »Ist doch wahr«, sagte Christian. Er winkte dem Kellner und gab rasch die Bestellung für den Tisch auf, inklusive einer Magnumflasche Amarone. »Wir haben in der Schweiz bis heute sechsundzwanzig Fälle von gestohlenen Bankdaten. Es ist wie im Weihnachtsschlussverkauf, verstehst du? Und die Polizei hat überhaupt keine Handhabe, weil die Banken schweigen wie die Sünder.« An dieser Stelle hielt Christian inne und ließ seine Augen abermals auf Eschenbach ruhen.
    Aber der Kommissar reagierte nicht auf Christians kleine Stichelei; er saß einfach da, die Arme vor der Brust verschränkt, und tat es den Banken gleich: Er sagte nichts.
    »Eben!« Der Anwalt nickte zweimal. »Und du fragst dich noch, ob du dieses Angebot ablehnen sollst. Ich finde den Plan von deinem Freund sogar raffiniert.«
    Eschenbach hörte Christian aufmerksam zu. Christian Pollack war ein ebenso scharfer Analytiker wie ein brillanter Rhetoriker. In jedem noch so kurzen Gespräch unter Freunden schien das auf. Und wie bei allen Menschen, die über diese segensreiche Kombination zweier ohnehin seltener Eigenschaften verfügten, war es auch für ihn selbstverständlich, dass er die Entscheidung skizzierte, die andere – in diesem Fall Eschenbach – treffen sollten. Und zwar in der Erwartung, dass sich das Gegenüber ihm selbstverständlich anschließen und entsprechend handeln würde.
    Der Wein wurde gebracht und etwas später, mit Flambierwagen und einem Aufgebot von drei Kellnern, das Reh, ein 600 Gramm schweres Rückenstück, das mit Cognac und Whiskey übergossen und angezündet wurde.
    »Ich muss das selbst entscheiden«, sagte Eschenbach mit Blick in die Flammen, die bis knapp unter die Decke stachen. Er dachte an Kanada; an die Feuer, die sie nachts im Wald angezündet hatten. Denn im Gegensatz zur Schweiz lebten dort noch Tiere, die auch einem Menschen gefährlich werden konnten. Freiheit bedeutete auch die Bereitschaft, Risiken einzugehen.
    Am Nachbartisch wurde ein Fotohandy gezückt.
    Einen kurzen Moment sah es im ersten Stock des Vorderen Sternen aus wie beim Sechseläuten. Dann zogen sich die Kellner diskret zurück.
    Zwischen Hauptspeise und Dessert brachte der Kommissar noch einmal die Sprache auf sein Dilemma. Im Prinzip hatte Christian so reagiert, wie er es erwartet hatte. Trotzdem war ihm nicht ganz wohl bei der Sache. Er hatte nicht wirklich eine Ahnung, was ihn bei Duprey erwartete. Wie war er bloß in diese Situation geraten?
    »Weißt du, Christian, ich bin Polizist mit Leib und Seele, um es mal richtig altmodisch auszudrücken.«
    »Schön und gut. Aber was willst du tun?«, antwortete Chris­tian. »Du kannst jetzt zu Hösli gehen … Ihn anbetteln, dass er dir die Kripo wiedergibt: DEINE Kripo, die du jahrelang erfolgreich geführt hast. Das ist doch grotesk, so etwas …« Christian kam nun richtig in Fahrt.
    »Und wenn er sie dir dann gibt, was er vermutlich tun wird … Wie geht es dann weiter? Das sind doch keine freiheitlichen Verhältnisse, oder? Hösli oben und du unten …«
    »Du kannst aufhören«, sagte Eschenbach grimmig. »Ich hab’s schon verstanden.«
    »Also nutze die Gelegenheit, sei pragmatisch. Wer weiß, ob sich in einem halben Jahr wieder eine solche Chance bietet.«
    Eschenbach spielte mit dem Dessertbesteck. Vermutlich lag Christian nicht falsch. Der Weg zu Hösli war ein Gang in die Knechtschaft. Zumindest im Moment, dachte der Kommissar. Und was Corina betraf, sie würde ihn dabei unterstützen. Das hatte

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