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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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auch in der Banque Duprey ein Dickicht aus Regeln, Weisungen und exakt defi­nierten Prozessen. Es ging nichts auf die Schnelle an diesem Nachmit­tag. Eschenbach wusste aus eigener Erfahrung, dass es vollkom­men sinnlos war, sich aufzuregen. Es war bei der Kantonalpolizei nicht anders, im Gegenteil. Der einzige Unterschied war, dass er den Urwald dort kannte – und in den vergangenen achtzehn Jahren vielleicht sogar selbst ein Teil davon geworden war.
    Abends, als alle gegangen waren, telefonierte Eschenbach mit seinem früheren Kollegen Claudio Jagmetti. Aber der Bündner hatte kaum Neues zu berichten. Hösli hüllte sich in Schweigen, was die Causa Eschenbach anging. Nachdem sie sich für den nächsten Morgen verabredet hatten, nahm sich Eschenbach die Akte Dubach vor. Er studierte sie gründlich, machte sich ein paar Notizen und jagte sie anschließend durch den Kopierer. Es war nichts Auffälliges daran.
    Kurz vor halb zwölf fuhr er mit dem Lift ins Erdgeschoss, hielt seine Badgekarte an die entsprechend gekennzeichnete Stelle am Personalausgang und verließ die Bank durch die Sicherheitsschleuse.
    Am nächsten Morgen war Eschenbach spät dran. Er hastete die Treppe hoch in den ersten Stock der Confiserie Sprüngli und sah sich schnaufend um. Claudio saß bereits an einem Tisch am Fenster und winkte.
    »Ich mag dieses Café überhaupt nicht«, sagte Claudio zur Begrüßung. »Galaktische Preise alles … Und am Schluss bezahlt man an der Kasse beim Ausgang, stehend wie bei der Migros.«
    »Du bist eingeladen.« Eschenbach musterte Claudio, den er seit seiner Abreise nach Kanada nicht mehr gesehen hatte. Der junge Polizist blickte düster drein. Er trug einen dunklen Anzug, dazu ein weißes Hemd mit lila Krawatte. Eschenbach konnte sich nicht erinnern, Claudio je in einem solchen Outfit gesehen zu haben. »Musst du zu einer Beerdigung?«
    Claudio verdrehte die Augen.
    Sie bestellten zwei Birchermüesli mit Croissants und Espressi.
    »Heute um zehn bin ich bei Hösli. Bewerbungsgespräch.« Er zog eine Augenbraue hoch.
    »Für meinen alten Job?«, fragte Eschenbach.
    »Nein, für meinen.«
    »Alten?«
    »Ja.«
    Eschenbach lachte. »Der zieht das also knallhart durch.«
    Jagmetti nickte. Seine langen, pechschwarzen Locken waren einem Kurzhaarschnitt zum Opfer gefallen. Seine Gesichtszüge wirkten härter, fand Eschenbach; ein wenig glich er dem amerikanischen Rapper, von dem noch immer ein Poster in Kathrins altem Zimmer bei ihm in der Wohnung hing.
    »Hat er dir eigentlich gekündigt?«, fragte Jagmetti.
    »Nein.«
    »Und du?«
    »Auch nicht. Offiziell bin ich immer noch in den Ferien. Zwei Wochen noch, bis Ende Monat. Jetzt warten wir ab, wie sich die Sache entwickelt.« Dabei ließ Eschenbach es bewenden.
    Eine ältere Frau eilte herbei, mit einer Schürze, wie sie nur noch bei Sprüngli getragen wurde. »Das Frühstück für die Herren«, sagte sie mit ernster Miene und wuchtete das schwere Silbertablett auf den Tisch.
    Sie aßen, und Eschenbach erzählte von seiner Auszeit, von den unendlichen Weiten Kanadas und davon, wie seine Beziehung zu Corina auf eine unergründliche Art tiefer geworden war. »Ich glaube, es liegt an den Entfernungen … Es wohnt ja kaum jemand dort, gemessen an den Quadratkilometern. Da bist du einfach froh, wenn du einer Menschenseele begegnest. Ganz im Gegensatz zu hier …«
    Der Kommissar sah sich um. »Hier bist du froh, wenn dich keiner kennt.«
    Claudio erzählte nichts Privates, und der Kommissar unterließ es tunlichst, ihn danach zu fragen. Claudio war fünfunddreißig – die jungen Frauen drehten sich auf der Straße nach ihm um. Das ganze Leben lag vor ihm – Herrgott! Eschenbach konnte es kaum fassen, dass Jagmetti so griesgrämig dreinsah.
    »Gefällt es dir eigentlich bei dieser Bank?«
    Eschenbach hob die Schultern. »Ich hab erst gestern angefangen. Heut ist Mittwoch … Was soll ich dir also sagen?« Die Art, wie Claudio die Frage gestellt hatte, zeigte ihm, dass sich der junge Polizist mit der Situation schwertat.
    »Halt einfach durch, Claudio«, meinte er schließlich. »Das Blatt wendet sich immer … Das ist das Einzige, auf das du dich wirklich verlassen kannst. Irgendwann wachsen auf jedem Scheißhaufen wieder Blumen.« Und mit einem Blick auf den Paradeplatz fügte er hinzu: »Hier unten war früher einmal ein Schweinemarkt … Jetzt stehen die Paläste von Crédit Suisse und UBS da. Es braucht nur Geduld und Nerven.« Eschenbach nahm seine Mappe,

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