Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
zog die Akte Dubach hervor und gab sie Claudio. »Das ist der Compliance Officer , von dem ich dir erzählt habe. Schau doch mal nach, was du über den findest.«
    Claudio nahm den Umschlag und schaute auf die Uhr. »Ich muss«, sagte er.
    Sie standen auf.
    »Viel Glück«, sagte Eschenbach und machte sich mit der Rechnung auf den Weg zur Kasse.
    Tamás Abrámyi, 32 Jahre alt, Ökonomie-Abschluss an der ETH Zürich mit Bestnoten, Ausbildung zum Finanzanalysten an der AZEK; Muttersprache Ungarisch; spricht akzentfrei Deutsch, Englisch und Spanisch. Verlässt die Bank in gegenseitigem Einvernehmen per Ende November. Neuer Arbeitgeber: Bank Julius Bär, Zürich.
    Nach zwei Stunden hörte der Kommissar auf, sich Notizen zu machen. Er warf die Akte (es war die fünfundzwanzigste) auf den Haufen derer, die er bereits bearbeitet hatte. Plötzlich wuss­te er nicht mehr, weshalb er die ganzen Papierberge angefordert hatte. Die alte Geschichte mit den Bäumen und dem Wald kam ihm in den Sinn.
    Um ein Uhr ging er mit Rosa mittagessen. Sie spazierten zum Bellevue hinunter, kauften eine Bratwurst und setzten sich an das Seeufer.
    »Sie sind näher an den Leuten als ich«, sagte er kauend. »Ich hab mir überlegt, dass es gar nicht so gut ist, wenn die wissen, dass wir uns so gut kennen.« Er sah Rosa an: »Sie könnten vielleicht …«
    »Ich weiß, Kommissario, was Sie denken. Ich hab drum gesagt, dass ich vorher im Kunsthaus gearbeitet habe.«
    Eschenbach zog die Brauen hoch. Rosa dachte wie immer mit. »Aber warum gerade das Kunsthaus?«, wollte er wissen.
    »Ich interessiere mich schon eine Weile dafür …« Sie schmunzelte. »Man kann über Kunst reden, ohne etwas davon zu verstehen.«
    Eschenbach lachte.
    »Die Leute sind verunsichert, das habe ich gleich zu Beginn gemerkt«, fuhr sie fort. »Dieser Peter Dubach … Also der muss sie regelrecht ausspioniert haben. Das hat mir Françoise erzählt, die Assistentin von Dr. Hauri. Muss zudem ein recht verschlos­sener Typ gewesen sein, der viel in der Nacht gearbeitet hat.«
    »Sehen Sie.« Eschenbach wischte sich mit der Serviette die Hände ab. »Mir erzählt kein Mensch solche Dinge. Darum bin ich froh, wenn Sie die Augen offen halten.«
    »Und dass Dubachs Mutter in der Irrenanstalt ist, das habe ich ebenfalls gehört.«
    Der Kommissar staunte nicht schlecht. Es war ein besonderes Talent, das Rosa besaß. Die Menschen vertrauten sich ihr schon nach kurzer Zeit an, schütteten ihr Herz aus und redeten über Dinge, die sie sonst niemandem erzählten.
    Nicht so bei ihm: In den Gesprächen, die er am Nachmittag mit seinen Mitarbeitern führte, kam nichts zutage, was für seine Untersuchung von Belang gewesen wäre. Man gab sich zugeknöpft und war höflich. Das wichtigste Anliegen der Kollegen, alle hatten es erwähnt, bestand darin, dass er doch bitte offen mit ihnen kommunizieren möge.
    Am Abend ging Eschenbach ins Kino Frosch und sah sich El secreto de sus ojos an. Der Film spielte in Buenos Aires. Ein Polizeikommissar rollt am Ende seiner Karriere zwei Fälle nochmals auf; einen grässlichen Mord an einem jungen Mädchen und seine alte, unerfüllte Liebe zu einer Kollegin.
    Mitten im Film überfiel Eschenbach eine tiefe Sehnsucht nach Corina. Er tippte im Dunkeln eine schwülstige SMS, die er nach zweimaligem Lesen wieder löschte. In der Pause tigerte er unruhig auf und ab und kaufte aus purer Langeweile eine große Tüte Popcorn und eine Cola.
    Der Fall endete tragisch, und die Liebe der beiden Protagonisten blieb unerfüllt. Eschenbach stand nicht auf, bis der komplette Abspann durch war. Die Sehnsucht war nicht weniger geworden, dazu kam ein leichtes Sodbrennen.
    Auf dem Heimweg machte er halt im Hotel Storchen, trank in der Lobby einen Cognac und telefonierte endlich mit Corina. Er erzählte ihr, dass er sich bis zum Ende seiner offiziellen Auszeit um die Duprey-Geschichte kümmern werde. »Ich schau mal, wie das dort läuft. Dann kann ich mich immer noch entscheiden.«
    »Vielleicht gefällt es dir ja?«
    »Wann kommst du zurück?«
    »Ich dachte, du bist vielleicht froh, wenn du dich in aller Ruhe einarbeiten kannst.« Ihre Stimme klang unbeschwert, als habe sie einen schönen Tag gehabt.

Kapitel 10
    Quit or stay
    D er kleine schwarze Junge hockte vor einer Hütte aus Bambusrohren und spielte mit seinen Händen. Er war ungefähr zwölf Jahre alt. Die Augen hielt er halb geschlossen, während er sprach. Seine Stimme war hell, und die Worte klangen weich, fast

Weitere Kostenlose Bücher