Rütlischwur
brannte sich in ihr Hirn.
Zimmer sprach immer noch, und noch immer kreisten seine Ausführungen um das Stichwort Kalaschnikow. Judith riss sich zusammen. Sie musste den Spieß umdrehen, die Schwachstellen der Männer ins Visier nehmen. Herausfinden, was sie von ihr wollten.
»Diese Knarre ist vergleichbar mit Mercedes Benz. Eine sichere Einnahmequelle«, fuhr Zimmer fort. »Und noch viel mehr. Wer sie hat, kann seine materiellen und sexuellen Bedürfnisse befriedigen … Er vergewaltigt, nimmt sich, was er will. Alles straffrei. In den Krisengebieten Afrikas herrscht eine Rechtlosigkeit sondergleichen. Jeder bewaffnete Mann, gleich welcher Partei, fühlt sich berechtigt, alles in Besitz zu nehmen, was ihm unterkommt.«
Judith schüttelte den Kopf. »Ich möchte wissen, was das mit der Banque Duprey zu tun hat. Dort steuern wir doch hin, nicht wahr? Also kommen Sie bitte auf den Punkt.«
»Werden wir, werden wir«, sagte Max Hösli.
»Sie reagieren sensibel auf solche Bilder.« Der schwarze König verzog einen kurzen Moment den Mund. »Man hat uns das gesagt. Ist erstaunlich, denn die meisten Menschen stumpfen ab, seit das Zeug täglich über den Bildschirm flimmert.« Zimmer bat Hösli, nun doch das Licht einzuschalten. »Eigentlich hätten wir noch einen zweiten Beitrag, Kinder, die als lebende Detektoren auf Minenfelder geschickt werden.«
»Und das ist nicht gerade schön anzusehen«, bemerkte Hösli, bevor er am Lichtschalter drehte.
»Ich will das nicht sehen«, sagte Judith. »Ich weiß doch, was dort läuft. Amerika, Russland, China, England, Frankreich … Die halten den Bürgerkrieg im Kivu am Kochen. Wegen der Bodenschätze: Coltan, Gold, Edelsteine. Man lässt zu, dass das Land geplündert wird, um die Waffen zu bezahlen, weil jeder davon profitiert …«
»Was ist eigentlich Coltan?«, fragte Imholz.
»Das Gold des Kongos, ein Erz«, antwortete Judith. »Ohne diesen Stoff wäre die moderne Welt nicht denkbar: Handys, Spielkonsolen, Laptops … überall ist es drin.«
»Dass diese Barbaren so was besitzen …«
»Imhof.« Der schwarze König rief Judiths Chef zur Ordnung und schüttelte leicht den Kopf. Judith verbuchte einen Punkt auf ihrer Seite. »Die Waffen ermöglichen den Milizen, die Minen weiter zu kontrollieren. Damit sind wir wieder bei der Kalaschnikow. Ein teuflischer Kreislauf.«
»Sie beantworten meine Frage nicht«, sagte Judith. »Ich will wissen, was das mit dem Job bei Duprey zu tun hat.«
»Das ist mein Part«, sagte Hösli und stand auf.
* * *
Zu Eschenbachs großem Erstaunen war die Tür zu seiner Klosterzelle nicht abgeschlossen. Der Kommissar trat in den Gang. Niemand war zu sehen. Er ging ein paar Schritte nach rechts und hielt inne. Das Geräusch seiner Schuhe irritierte ihn. Turnschuhe! Sie quietschten auf den hellen Steinplatten.
Ich habe nie solche Turnschuhe getragen, dachte er. Eschenbach blickte an sich hinunter. Schlottrige Baumwollhosen mit ausgebeulten Knien, die sich mit Elastikbündchen an seinen Hüften und Fußgelenken festhielten. Und dieser weiße Sweater – um Gottes willen! Er sah aus wie Sylvester Stallone beim Training.
Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Ein Lichtstrahl fiel durch die Fenster auf der linken Seite und ließ den Staub in der Luft tanzen. Rechts waren in Abständen von fünf Schritt Türen eingelassen. Nachdem der Kommissar ungefähr die Hälfte des Ganges zurückgelegt hatte, drehte er sich um: Er konnte nicht mehr mit Sicherheit sagen, aus welchem Zimmer er gekommen war.
Hinter dem letzten Fenster lag der Gang im Halbdunkel. Das Quietschen der Schuhe wurde unerträglich. Eschenbach versuchte anders aufzutreten. Es wurde nicht besser.
»Guten Morgen«, sagte eine Stimme.
Eschenbach erschrak. Er hatte den Mann nicht kommen hören. »Hallo«, sagte er und fügte vorsichtshalber ein »Grüß Gott« hinzu.
»Haben Sie gut geschlafen?« Der Mönch lächelte ihn an. Er war von schlanker Statur, hatte weiße, buschige Augenbrauen und eine Adlernase. »Ich bin Bruder Gerold.«
»Sind Sie … Ich meine, waren Sie bei mir im Zimmer?« Eschenbach versuchte sich an den Mann zu erinnern, den er ein paarmal schemenhaft wahrgenommen hatte.
»Nein«, meinte Bruder Gerold und schüttelte den Kopf. »Das war Bruder John.«
»Kleiner … mit einer Brille?«
»Und etwas runder, richtig.« Bruder Gerold lächelte. »Sie können sich also erinnern, das ist gut. John hat von Ihnen erzählt. Er macht sich Sorgen und bat
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