Rütlischwur
übertönen. »Der Oberbefehlshaber der Schweizer Armee …«
»General Guisan«, warf Rosa dazwischen.
»Richtig.«
»Wie immer schwarz?«
»Guisan?«
»Nein, Ihr Espresso, Kommissario!«
Eschenbach zwinkerte ihr zu. »Also, Guisan … der hatte sämtliche höheren Offiziere, ab Stufe Major, zum Rapport auf die Rütliwiese gebeten. Und die bei diesem Rapport ausgegebenen Befehle über die Landesverteidigung galten als Botschaft der Abschreckung, gerichtet an die Achsenmächte Deutschland und Italien.«
Die zweite Tasse füllte sich.
»Was Guisan damals getan hat, ging als Rütlirapport in die Schweizer Geschichte ein.«
»Mir gefällt diese Symbolik«, sagte Rosa, als sie Eschenbach die Tasse reichte. »Unser Geschichtslehrer am Gymi … also der ist mit uns auch aufs Rütli gegangen. Zuerst hat er uns die Geschichte der Gründung der Schweiz durch die drei Urkantone nochmals in Erinnerung gerufen: der Rütlischwur! Und dann hat er uns ins Gewissen geredet, weil er davon gehört hatte, dass zwei in unserer Klasse Haschisch geraucht hätten. Der innere und der äußere Feind … Irgend so etwas hat er uns gepredigt.«
Nachdem sie die Tassen geleert hatten, gingen sie zurück zu Rosas Arbeitsplatz. »Und da ist noch etwas, worüber ich mich wundere«, sagte Eschenbach. Weil gerade keiner der Mitarbeiter, mit denen Rosa das Büro teilte, in Sicht war, zog er eine blaue Plastikhülle aus seinen Unterlagen. »Peter Dubach, gewissermaßen mein Vorgänger hier …« Der Kommissar seufzte. »Banz hat ihn mit keinem Wort erwähnt. Ich werde den Verdacht nicht los, dass ihn das ebenso wenig interessiert wie die Sache mit den Assets.«
»Er hat die Stelle wieder besetzt … So what ?«, sagte Rosa. »Mit Ihnen! Ich vermute, das war sein eigentliches Anliegen. Der Chief Compliance Officer ist doch wie …«
»Wie was?«
Rosa zögerte.
»Das Feigenblatt einer Bank«, ergänzte Eschenbach etwas missmutig. »Wenn es runterfällt, nimmt man ein neues …«
»Ma no« , unterbrach Rosa. »Ich habe eigentlich an etwas ganz anderes gedacht.«
»Bitte?«
»An die heilige Madonna.«
Wieder zurück an seinem Schreibtisch, auf seinem mit Leder gepolsterten Sessel, legte Eschenbach die Unterlagen rasch zur Seite, nur die dünne Plastikhülle warf er vor sich und schaute dann hoch zur Decke. Jagmetti hatte die Mappe am Morgen vorbeigebracht, vor der Sitzung mit Banz. Auf drei A4-Blättern hatte er Informationen zur heiligen Madonna (der vorherigen), zu Peter Dubach, zusammengestellt, säuberlich auf dem Computer, mit einer kurzen Gliederung, erstens, zweitens usw. Es las sich wie die Masterarbeit eines Studenten. Der Kommissar hatte nicht schlecht gestaunt.
Wer schrieb so etwas bei der Kriminalpolizei, jetzt, da Rosa nicht mehr dort war? Vielleicht hatte Banz ja recht: Mitarbeiter gehen, Mitarbeiter kommen. Oder war bereits das neue System in Kraft, das Systema Automatica , von dem Rosa erzählt hatte? Ein Programm, das solche Informationen per Knopfdruck fand, sie mit verständlichen Sätzen untermauerte, alles formatierte und es dann als hübschen Bericht ausdruckte?
Eschenbach nahm den Telefonhörer und zog die Mappe zu sich. Der Reihe nach probierte er alle Telefonnummern, die Claudio ihm im Zusammenhang mit Peter Dubach aufgeschrieben hatte. Die zweite war seine eigene Büronummer – der Kommissar merkte es erst bei der vorletzten Ziffer. Er nahm die nächste.
»Hallo?« Es war die Stimme einer Frau.
»Kantonspolizei Zü…« Eschenbach biss sich auf die Unterlippe. »Eschenbach.«
»Kandoneszei zü Eschendrach?«
Am anderen Ende war entweder ein Kind oder eine Ausländerin.
»Wer spricht da?«, fragte der Kommissar. »Ich hätte gerne Herrn Dubach, Peter Dubach.«
»Frau Dübach?«
»Nein … Ich meine ja. Geben Sie mir Frau Dubach.« Der Kommissar sah, dass es die Nummer der Mutter des Vermissten war, die er gewählt hatte. Eine Adresse in Meilen.
»Frau Dübach ist Klünük«, sagte die Stimme.
Nach mehrmaligem Nachfragen und Buchstabieren fand der Kommissar heraus, dass er mit der Putzfrau von Peter Dubach sprach und dass die Mutter des Vermissten, Frau Dubach, sich derzeit in einer Klinik in Rüschlikon befand.
»Rüschlikon … Ich solle buchstabiere?«
»Nein, es geht. Nur die Telefonnummer.«
Es dauerte eine Weile, dann hatte Eschenbach die Nummer notiert.
Bei der Klünük handelte es sich um das Sanatorium Rosen, eine Privatklinik zur Behandlung von Menschen mit psychischen
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