Rütlischwur
kennengelernt.«
»Nicht dass ich wüsste.« Eschenbach zog eine seiner neuen Visitenkarten aus der Jackentasche und musterte die Frau: Sie war klein und trug einen dunkelblauen Hosenanzug mit Nadelstreifen. Von der Aufmachung her unterschied sie sich kaum von den weiblichen Angestellten der Bank, die ihm täglich in den Gängen und im Aufzug begegneten und deren Namen er sich nicht merken konnte.
Die junge Frau kam auf Eschenbach zu. Sie nahm das kleine Kärtchen an sich, das er ihr gab, sah es kurz an und meinte: »Ich bin Judith Bill. Herr Banz hat mir gesagt, Sie haben diese Woche auch frisch angefangen. Genau wie ich.«
Der Kommissar sah sie einen Moment irritiert an, wie jemand, der auf eine überraschende Frage keine Antwort wusste. Eine kurze Stille entstand. Es war das seltsamste Augenpaar, das er je gesehen hatte und das überhaupt nicht in dieses junge Gesicht passen wollte.
Mit einem etwas verwirrten Lächeln gab er ihr die Hand und sagte: »Eschenbach.«
Kapitel 12
Abteilung D – das wird schwierig
W issen Sie, wie viele Millionen eine Milliarde hat, Frau Mazzoleni?«
Nach der Besprechung mit Banz, auf dem Weg in sein Büro, war er für einen Moment neben Rosas Arbeitsplatz stehen geblieben.
»Immer tausend, Kommissario. So muss man es sich merken: mille milioni . Das hat sogar Stefano, der Kleine meiner Schwester, sofort begriffen. »
»Donnerwetter«, sagte Eschenbach.
»Und nach den Milliarden geht es weiter mit Billionen, Billiarden, Trillionen, Trilliarden. Immer mal tausend.«
»Im Amerikanischen ist’s aber anders …«
»Sississì …« , sagte Rosa. »Die sagen Billionen und meinen Milliarden, da muss man sich nicht wundern, wenn die ihren Haushalt nicht in Ordnung kriegen. Aber das darf uns nicht kümmern, was die Amerikaner sagen.«
»Das meint auch Banz.«
»Um Gottes willen!« Besorgt, als wäre gerade ihr Haus abgebrannt, legte Rosa beide Hände auf ihre gepuderten Wangen. »Ich hab Sie gar nicht gefragt – O Mamma mia –, wie ist es denn gegangen?«
»Mit den Zahlen, die Sie mir zusammengestellt haben?«
Rosa nickte und sah Eschenbach erwartungsvoll an.
»Nichts«, sagte er. »Ich glaube, es hat ihn überhaupt nicht interessiert.«
»Ha!«, rief Rosa.
Eschenbach hob die Schultern. Auch nach Jahren war er sich noch nicht vollkommen sicher, was dieser Ausruf bedeutete: War es ein »Ha, das habe ich erwartet!« oder ein »Ha, das habe ich nicht erwartet!«? »Ha!«, einfach nur mit Ausrufezeichen, blieb ein unergründliches Feld.
»Stattdessen haben wir über Guisan gesprochen.« Der Kommissar grinste.
»Sie machen Witze?«
»Nein, bei Henri Guisan hört der Spaß auf«, sagte Eschenbach. »Als neutrales Land wählen wir nur im Kriegsfall einen General. Im letzten Jahrhundert waren es also zwei, und das reicht, finde ich.«
»Wir hatten Mussolini … und jetzt Berlusconi. Das reicht auch«, sagte Rosa.
»Eben.«
Eschenbach folgte ihr zur Espressomaschine. Weil Rosa hartnäckig darauf bestand, schilderte er die geschichtsträchtige Situation mit Guisan, auf die Banz angespielt hatte.
»Angesichts der Kapitulation Frankreichs und der kompletten Umzingelung durch die Achsenmächte konnte man damals einen Angriff auf die Schweiz nicht mehr ausschließen.«
»Hm«, machte Rosa, während sie in den Schubladen nach Kaffeekapseln suchte. »Der Schweizer Finanzplatz ist im Moment etwas unter Druck, deshalb zieht Banz diesen Vergleich.«
»Genau«, sagte Eschenbach und fuhr fort: »Das Volk ist verunsichert … und dann ist es bei uns so üblich, dass der Bundesrat eine Ansprache hält. Er sagt, dass alles nicht so schlimm sei.«
»Berlusconis Ansprachen machen die Sache immer noch schlimmer«, kommentierte Rosa und befreite zwei Lavazza-Espressokapseln aus der Verpackung.
»Das war im Juli 1940 auch der Fall. Pilet-Golaz, unser damaliger Außenminister, der gleichzeitig auch Bundespräsident war, sprach übers Radio von ›Anpassungen an das Neue Europa‹ – das hat die Gemüter natürlich nicht beruhigt.«
»Ach so.«
»Ach so« gehörte in dieselbe Kategorie wie »Ha!«.
Rosa stellte eine Mokkatasse auf die Ablage der Lavazza und lud die Maschine mit einer Kapsel. »Und jetzt vergleicht Banz den Druck aufs Schweizer Bankgeheimnis mit der Situation von damals?«
»Vermutlich.«
Die Espressomaschine brummte wie ein Tupolew-Bomber.
»Aber was wirklich geschah, am Tag der Radioansprache …« Eschenbach versuchte die Tupolew zu
Weitere Kostenlose Bücher