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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Börse gerade aufwärts- oder runtergeht.
    Diese Erkenntnisse waren natürlich nicht Teil der Notizen, die der Kommissar in das Meeting mitgenommen hatte. Auf seinen Zetteln standen Zahlen, genauer gesagt, Kennzahlen, und Begriffe. Und das war die Crux an der Sache: Denn wie andere Bereiche des täglichen Lebens (zum Beispiel Fußball, Religion oder Kochen) hatte auch die Finanzindustrie ihre eigene Sprache, mit dem Ziel, die Eingeweihten von den nicht Eingeweihten abzugrenzen.
    »Es ist wie blanchieren, glasieren und legieren «, hatte sein Freund Gabriel gesagt, der von Beruf Koch war und mit dem Schafskopf im Seefeld eines der besten Restaurants von Zü­rich besaß. »Du musst das auswendig lernen, sonst wird das nichts.«
    Aber wie sollte er Begriffe lernen, deren Bedeutung ihm ebenso fremd war wie die Begriffe selbst? Dass Eschenbach – ein Mensch, der bis zu seinem dreiundfünfzigsten Lebensjahr noch nie in einer Bank gearbeitet hatte – diese Fachsprache, wenigs­tens die wichtigsten Eckpfeiler, tatsächlich auch kapierte, verdankte er seinem Freund Christian Pollack.
    Am Abend vor seinem Meeting mit Banz hatte sich Eschenbach mit seinen Freunden zu einem Jass im Schafskopf getroffen. Und natürlich waren seine ersten Tage bei Duprey das Gesprächsthema Nummer eins gewesen. Kanada schien plötzlich weit weg. Auf die Schiefertafel, auf der normalerweise der Spielstand notiert wurde, hatte der Anwalt eine Kuh gemalt. Vielleicht hatte es an den drei Flaschen Barbaresco gelegen oder an den unzähligen Grappe von Angelo Gaja, dass die Zeichnung hervorragend gelungen war. Denn Christian Pollack konnte überhaupt nicht zeichnen.
    »Das ist das heilige Wappentier der Finanzindustrie«, hatte Christian gemeint. »Und weil jede anständige Kuh einen Namen hat, nennen wir sie Shareholder value . Wie Fiona, Bella oder Diana , die häufigsten Namen für weibliche Schweizer Kälber, wird der Name nicht übersetzt. Gemeint ist der Aktionärswert – und ausgesprochen wird er als Schäerholdervalijuu . Ihre Euter heißen Gewinn, Rendite, genauer: Eigenkapitalrendite, und Wachstum.«
    Christian schrieb die Worte unter die Kuh, die mit den drei Eutern nun aussah wie von einem anderen Stern.
    »Bei Banken wie Duprey, deren hauptsächliches Geschäft, also ihr core business , darin besteht, Kundenvermögen zu verwalten, bezieht sich das Wachstum auf die Höhe der anvertrauten Gelder.«
    »Das ist überhaupt das Wichtigste … die Kundenvermögen«, sagte Gregor Allenspach, der ebenfalls zu Eschenbachs Jass-Freunden gehörte. Als Lehrer für Latein, Deutsch und Geschichte und weil er auch sonst ein sehr gebildeter Mann war, hatte Gregor von fast allem eine Ahnung.
    »Richtig.« Christian befeuchtete die Spitze des Kreidestifts mit Spucke und malte ein viertes Euter. »Die Assets «, sagte er und überlegte, wo für den Begriff auf der vollgekritzelten Schiefertafel noch Platz war. »Es bedeutet die Summe an Geldern, Aktien, Obligationen und so weiter … das ganze Anlagevermögen eben: Und weil sie der Bank anvertraut werden, bezeichnet man sie als Assets under Management .«
    Das passte nun wirklich nicht mehr, Christian schrieb nur das Kürzel hin: AuM.
    Es kamen noch weitere Begriffe dazu, die Eschenbach zusammen mit seinen Freunden während des Abends enträtselte. Und mit den Fortschritten, die er machte, stieg die Freude auf die Sitzung mit Banz. Zwar fühlte er sich noch immer wie ein Fremder, aber weil er die Sprache der Leute zu verstehen begann, eröffneten sich neue Perspektiven.
    Christian Pollack hielt Wort und stand Eschenbach auch bei den dümmsten Fragen Rede und Antwort. So ging es rasch vorwärts, und der Kommissar fing an, die Geschäfts- und Quartalsberichte auszupacken, die er für den Abend mitgenommen hatte. Er gewann einen Überblick über das Zahlengerippe der Bank und bekam Antworten zu Dingen, die ihm während der drei Tage bei Duprey besonders aufgefallen waren.
    Jetzt, bei Banz am Besprechungstisch, mit einem Thunsandwich in der Hand, kauend, blätterte er in seinen Notizen.
    »So ganz spontan und von außen …« Banz wischte sich mit einer Serviette den Mund. »Gibt es irgendwelche neuen Erkennt­nisse … Ungereimtheiten, du weißt schon. Irgendetwas, das dir aufgefallen ist.«
    »Deine AuMs gehen den Bach runter«, sagte der Kommissar und schluckte.
    »Meine was?«
    »Assets … die under Management.«
    »Ach so.«
    »Und zwar gewaltig.«
    »Nun ja. Die Krise trifft jeden«, sagte

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