Rütlischwur
ist ihm etwas zugestoßen.«
»Aha.«
»Genau.«
Eine kurze Pause entstand.
»Sucht ihn verdeckt, wenn’s irgendwie geht«, nahm Eschenbach das Gespräch wieder auf. »Keine Presse also. Ich möchte nicht, dass die ganze Welt davon erfährt. Nicht jetzt.«
»Okay«, willigte Jagmetti ein.
»Ich hab mir ein paar Dinge aufgeschrieben«, sagte Eschenbach. Er nahm die Notizen vom Beifahrersitz. »Festungstruppen … es ist möglich, dass er im Militär bei denen war.«
»Von mir aus«, sagte Claudio. »Ich werde der Sache nachgehen.«
Der Begriff, den Gisela Dubach verwendet hatte, war »Festungsclub« gewesen – Eschenbach hatte ihn exakt so aufgeschrieben. Aber so etwas gab es in der Schweizer Armee nicht.
Kapitel 13
Lenz studiert
N ach dem Gespräch mit Claudio rief Eschenbach seinen Freund Ewald Lenz an. Aber es nahm niemand ab. Bestimmt war Lenz im Garten, säuberte seinen Seerosenteich oder lag einfach nur im Schatten der alten Weide. Ein Handy benutzte der Alte nie. Der Kommissar fasste den Entschluss, Lenz persönlich aufzusuchen. Ein kleiner Abstecher, denn der Hügel, an dem Lenz wohnte, lag auf der gegenüberliegenden Seeseite, direkt vis-à-vis.
Dass aus dem kleinen Abstecher ein großer wurde, verdankte der Kommissar Arnold Bürkli. Der Stadtingenieur hatte 130 Jahre zuvor das Nadelöhr zwar nicht erfunden, es mit seiner Quaianlage am See aber nahezu perfekt umgesetzt. Der Platz vereinte alles, was der moderne Verkehr zu bieten hatte: Heerscharen von Passanten, die – entweder vertieft in ihre Geschäftsideen oder hingerissen vom Bergpanorama im Südosten – so abgelenkt waren, dass sie glaubten, sie wären die einzigen Menschen auf Erden. Und so sahen sie nicht die Fahrradfahrer kommen – ihnen voran die Kuriere, die in freier Interpretation der Verkehrsregeln mal links, mal rechts und mal mittendurch flitzten.
Möge Gott sie beschützen!
Hinzu kamen fünf Tram- und zwei Buslinien, die in Abständen von nur wenigen Minuten aus drei Himmelsrichtungen aufkreuzten und den Platz forsch, im Wissen um ihr Vortrittsrecht, überquerten.
Und dann waren da natürlich die Schiffe: die Dampfer und Motorboote der Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft, deren wichtigste Anlegestelle auch die vierte Himmelsrichtung im Seebecken in Beschlag nahm.
In diesem Chaos, gezwungenermaßen langsamer als alle bisher genannten Verkehrsteilnehmer, bewegten sich die Automobilisten. Sie taten es fluchend, mit einem Telefon am Ohr oder frei sprechend, manchmal auch mit Geschäftsunterlagen auf den Knien. Immer ungeduldig, und das war eigentlich erstaunlich, weil es sich beim Dauerstau vom General-Guisan-Quai bis zum Bellevue um eine vorhersehbare Größe und nicht um ein einmaliges Naturereignis handelte.
Langsamkeit – auch wenn sie städteplanerisch verordnet wurde – war Zürichs Sache nicht. In dieser Hinsicht wollte man an der Limmat eine Metropole sein und mit der übrigen Schweiz nichts zu tun haben. In Zürich war Geduld keine Tugend. Im Gegenteil. Vermutlich hatte Arnold Bürkli dies bereits geahnt und der Stadt und ihren Bewohnern mit seinem Platz einen Prüfstein verordnet, an dem sie sich bis heute die Zähne ausbissen, und zwar lautstark:
»Arschloch!«
»Wichser!«
»Penner!«
Mit Hupen und ausgestrecktem Mittelfinger.
Eschenbach schreckte hoch, denn er merkte plötzlich, dass er auf der Höhe des Anlegestegs kurz eingenickt war.
»Selber Arschloch!«, rief er und kroch weiter.
Die alte Mühle an der Forchstrasse lag oben am Hang, zwischen dem Stadtteil Hottingen und dem Friedhof Enzenbühl. Eine herrliche Wohnlage, bei der man den Quadratmeter Erde mit Gold aufwog.
Das altmodische Anwesen, in dem Lenz drei Zimmer bewohnte, hätte es ohne Denkmalschutz wohl nicht in die heutige Zeit geschafft. Schiefe Wände, knarrende Holzböden und ein Hausgeist – es war ganz nach Lenzens Geschmack. »Wenn ich auf Zürich hinunterblicke, auf den See und den Uetliberg – ich kann’s anstellen, wie ich will –, immer sehe ich auch das Burghölzli, direkt vor meinen Augen.«
Tatsächlich grenzte die berühmte Psychiatrische Anstalt direkt an das Grundstück, ein Umstand, der für den schwarzen Humor des Alten wie geschaffen war.
Außer Lenz wohnte in dem Fachwerkbau ein Geigenbauer mit seiner Familie, er arbeitete auch dort und sah gelegentlich bei Ewald nach dem Rechten.
»Er ist weg, Herr Kommissar.«
Eschenbach musterte den »kleinen Sebastian«, inzwischen ein schlaksiger
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