Rütlischwur
junger Mann von eins neunzig, der ihm bereits auf dem Kiesplatz entgegengekommen war.
»Ich dachte, Sie wissen das.«
»Wissen was?«
»Herr Lenz studiert Kunstgeschichte in Florenz, schon seit diesem Sommer.«
»Kunstgeschichte.«
»Yep«, machte Sebastian, grinste schelmisch und zog dabei an seiner Wollmütze. »Cool, oder?«
Eschenbach wusste nicht, ob die Mütze oder Lenz gemeint war. »Ich war in Kanada, deshalb.«
»Ich weiß … Er hat’s mir gesagt. Yeah – ist auch cool, Kanada.«
»Yeah«, wiederholte der Kommissar.
»Jede Woche kommt eine Karte mit Botticelli, Raffael und dem nackten David. Und er hat geschrieben, wir sollen Ihnen einen schönen Gruß ausrichten. Tanti saluti .«
Eschenbach lachte. Wie um alles auf der Welt war Lenz auf die Kunst gekommen? »Hast du … ich meine Sie, haben Sie eine Nummer, wo ich ihn erreichen kann?«
»Du ist schon okay«, sagte Sebastian. »Ich hol sie … Wollen Sie reinkommen?«
Eschenbach schüttelte den Kopf. »Ich mach ein paar Schritte, bin unten im Garten, Sie können mir die Nummer einfach ins Auto legen.«
»Du.«
»Ja, natürlich.«
Der Kommissar folgte dem Weg, der ums Haus herum führte, stieg die paar Stufen hinunter und blieb vor dem Eingang zu Lenz’ Wohnung stehen. Nach einem kurzen Zögern drückte er die Türfalle, öffnete die Tür einen Spalt weit und schloss sie wieder. Erleichtert atmete er auf und ging weiter in den Garten. Es war eine Marotte des Alten, dass er seine Wohnung nie zuschloss. Auch dann nicht, wenn er wegging.
Die Welt war nicht aus den Fugen geraten.
Gut gelaunt und mit einem leichten Herzen blieb der Kommissar eine Weile am Seerosenteich stehen. Von den weißen Blüten, die von Frühling bis tief in den Sommer wie Königinnen auf ihren Blättern thronten, war nicht mehr viel zu sehen. Schlammiges Grün überzog das Wasser, und die Buchenhecke am Ende des Gartens rostete still in den Herbst hinein.
Nach einer Viertelstunde ging er zurück zum Auto und fuhr los. Auf dem Weg zur Bank wählte Eschenbach die Nummer, die ihm Sebastian auf einen Zettel geschrieben hatte. Die Leitung war besetzt und blieb es auch, über eine halbe Stunde lang. Mit wem sprach Lenz so lange, er, der normalerweise so wortkarg war wie ein Bauer in der March?
Als Eschenbach gegen sieben Uhr abends in der Banque Duprey aus dem Aufzug trat, sah er, dass Rosas Arbeitsplatz noch immer hell erleuchtet war.
»Werden Ihnen die Überstunden eigentlich bezahlt?«, fragte er mit einem Augenzwinkern.
»In einer erfolgreichen Bank rechnet man nicht in Überstunden, weil, die Leistung schlägt sich nämlich im Bonus nieder …«, murmelte Rosa, ohne ihren Blick vom Bildschirm abzuwenden. Dann sagte sie: »Et voilà« , drückte die Enter-Taste und lehnte sich in den Stuhl zurück.
Der Kommissar war schon weitergegangen, als er Rosa rufen hörte.
»Monsieur!«
Er ging zurück und sah Rosa tief in die Augen: »Sie arbeiten gar nicht, Frau Mazzoleni. Sie lernen Französisch.«
»Non, pas du tout.«
»Was nicht?«
»Weil ich schon fließend Französisch spreche«, sagte sie mit dem berühmten Lächeln jener Mona L., der das schwere Schicksal zuteilgeworden war, als Italienerin in einem französischen Museum ausgestellt zu werden.
»Es ist die Sprache der Banquiers«, sagte sie. »Man sagt Banque Duprey, Banque Pictet, Banque Cantonale Vaudoise … und im Übrigen schreibt man Crédit Suisse mit Aigu, wohlverstanden.«
Eschenbach nickte anerkennend.
Rosa nahm einen Bankauszug: »Und wissen Sie, was hier überall draufsteht?« Sie zeigte mit dem Finger auf die Fußzeile.
»Irrtum eingeschlossen, ist ja logisch«, sagte er. Als Compliance Officer hatte er als Erstes gelernt, alles – aber wirklich auch alles – sofort mit dem Stempel des Haftungsausschlusses zu versehen. Disclaimer hieß das Ding in der Fachsprache. Und darin stand: a) Nichts darf verwendet werden (für oder gegen wen oder was spielte keine Rolle); b) nichts entspricht im Zweifelsfall der Wahrheit; c) usw., usw. – es waren Sätze, die von angelsächsischen Rechtsmühlen gedrechselt und anschließend geschliffen und poliert worden waren, als handelte es sich dabei um die englischen Kronjuwelen.
»Es ist eben nicht logisch«, insistierte Rosa. »Hier steht S.E.O. – das ist französisch, und man hat es schon auf Bankauszüge geschrieben, als das Wort ›Compliance‹ noch gar nicht existierte.«
»Ach ja?« Eschenbach hob das Kinn. »Und was heißt
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