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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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– und dies vor allem in der weiblichen Belegschaft – mit allergrößter Skepsis gegenüber. Wie viel durfte man essen? Durchfall war ebenso ein Thema wie Verstopfung, und was machte man mit den Trainingstaschen, die man mitnahm, weil man über den Mittag ins Fitnessstudio ging? Und shoppen? Ging das überhaupt nicht mehr – oder höchstens bei leichtgewichtiger Lingerie?
    Wie alle Systeme, die von hochtrabendem Intellekt und beinahe paranoider Beflissenheit konstruiert wurden, fand auch die Zutrittskontrolle der Banque Duprey ihren Lehrmeister in der Alltagstauglichkeit. Es hatte beinahe täglich Alarme gegeben. Die morgendliche Kolonne, die sich wie bei einem Skilift entlang der Rämistrasse bildete, hatte sie zum Gespött aller gemacht.
    Weil das System weder Rang noch Namen kannte, blieben auch die Partner und Direktoren der Bank regelmäßig stecken. Diese erregten sich über den entstandenen Zeitverlust, über die Wartungskosten und darüber, dass die Anlage weitaus teurer gekommen war als im Steuerungsausschuss geplant. Besonders ärgerte sie jedoch die Tatsache, dass die Belegschaft abends nicht rechtzeitig aus der Bank konnte. Weil die Austrittskontrolle mit dem Zeiterfassungssystem gekoppelt war, entstanden so Tausende von Überstunden, in denen nichts Produktives geleistet wurde.
    »Willkommen im Kommunismus!«, hatte Banz gebrüllt, in einer Sitzung, die speziell zu diesem Thema angesetzt worden war. »Wenn wir unsere Leute fürs Warten bezahlen, dann hört der Spaß auf. Es ist mir völlig egal, wie Sie das anstellen, meine Herren …«
    Die Leute der Sicherheitsfirma, die den Partnern von Duprey am langen Besprechungstisch gegenübersaßen, nickten, noch bevor Banz zum eigentlichen Punkt gekommen war.
    »Ab morgen funktioniert diese Scheißtür wieder, und es ist mir völlig egal, wie Sie das anstellen!«
    Für die Sicherheitsleute war dies der einfachste Teil des ganzen Auftrags gewesen. Sie programmierten noch am selben Abend die Gewichtstoleranzen neu und verfassten eine abschließende (und astronomische) Honorarnote für den, wie sie schrieben, nicht unerheblichen Mehraufwand.
    Es hatte nie mehr einen Alarm gegeben. Und weil das System allseits als absolute Fehlinvestition betrachtet worden war, wurde das Thema auf keiner der Geschäftsleitungssitzungen je wieder aufgegriffen.
    Judiths Besorgnis war also völlig unbegründet, als sie mit dem vier Kilo schweren Laptop ihres Chefs in die Schleuse trat. Alles funktionierte wie immer: Türe auf – Türe zu – Türe auf.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung trat sie ins Freie, stand auf dem Gehsteig der Rämistrasse, exakt an jener Stelle, an der Eschenbach eine Stunde zuvor ebenfalls gestanden hatte.
    Sie blickte nach links und nach rechts. Zwei Hotels kannte sie, die ungefähr in Reichweite lagen: der Florhof, oben bei der Akademie, und unten am Utoquai das Helmhaus. Unter normalen Umständen hätte sie nicht lange überlegt, aber so, wie sie aussah – sie musste sich etwas einfallen lassen.
    Aber was? Judith versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Sie presste den Laptop fest an die Brust, ging die zweihundert Meter bis zum Bellevue, überquerte den Platz in Richtung See, setzte sich an die Uferböschung und zog Jackett und Bluse aus. Ihre alte Wunde über dem rechten Auge war aufgeplatzt, und auch ihre Nase schmerzte. Sie wusch ihr Gesicht mit Seewasser.
    Was Judith über Blut wusste, hatte sie von Ernest. Er kannte jeden Trick, wenn es darum ging, Flecken zu entfernen. Der größte Fehler bestand darin, heißes Wasser zu nehmen, denn durch die Hitze gerannen die Eiweiße im Blut, und die Schlacht war an allen Fronten verloren. Wenn man schnell reagierte, ließ sich Blut mit kaltem Wasser beinahe mühelos entfernen. Löste man ein Aspirin, also Ascorbinsäure, darin auf, waren die Blutflecke später nicht mehr nachzuweisen.
    Judith sah sich um. Es gab einige Leute, die sich an diesem Samstagmorgen, kurz nach zwei Uhr, am Seeufer tummelten. Ein schwules Paar machte sie aus, eine Gruppe von Jugendlichen, die sich gegenseitig stützten und von denen sich der eine wenig später übergeben musste. Sie alle waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt oder zu betrunken, als dass sie Judith beachtet hätten.
    Judith tauchte die Bluse mit den Blutspritzern ins kalte Seewasser und sah zu, wie der Stoff allmählich wieder seine ursprüngliche hellrosa Farbe annahm. Obwohl Judith am ganzen Körper zitterte, nahm sie sich Zeit. Dabei zählte sie in

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