Rütlischwur
das?«
»Sans Erreurs et Omissions.«
»Ohne Furcht und Tadel«, übersetzte Eschenbach frei.
»Sie nehmen mich nicht ernst«, sagte Rosa. Sie richtete den Blick wieder auf den Bildschirm. »Aber das hier … Schauen Sie einmal. Ein Report, Sie erinnern sich. Sie haben mich doch gebeten, einmal nachzuforschen, was mit diesen Geldern passiert ist.«
Eschenbach nickte. »Knappe zehn Milliarden, die über die letzten fünf Jahre abgezogen wurden. Genau.«
»Ich weiß nicht, ob sie abgezogen wurden«, sagte Rosa etwas unsicher. »Das ist es ja gerade.« Sie deutete mit dem Finger auf eine Zeile auf dem Bildschirm. »Sehen Sie, das ist eine ganz normale Transaktion, von A nach B über SIX Interbank Clearing. Links steht der Absender, rechts der Empfänger.«
»Wie bei der Post«, sagte Eschenbach.
»Genau. Und hier, auf dieser Maske …«
Rosa klickte durch ein Menü, gab Identifikationsnummer und Passwort ein, fuhr mit der Maus auf dem Pad herum und summte ein italienisches Volkslied, das Eschenbach schon hundertmal gehört, dessen Namen er sich aber nie hatte merken können.
»Hier, sehen Sie, exakt das meine ich.«
»Ein Nummernkonto.«
»Ja, auch«, sagte Rosa. »Aber das ist nicht das Entscheidende.«
»Sondern?«
»Der Empfänger.«
Eschenbach, der sich inzwischen auf Rosas Schreibtisch gesetzt hatte, blickte von der Seite und mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm.
»Wo?«
»Nirgends, das ist es ja. Der Empfänger fehlt.« Rosa sagte es mit der stillen Freude, eine Pointe an der richtigen Stelle platziert zu haben. »Da staunen Sie, Kommissario, oder? Das ist, wie wenn Herr Müller, der natürlich ein Nummernkonto bei uns hat, sein Geld hier oben zum Fenster hinauswirft. Wir wissen dann nämlich nicht, wer es unten auf der Rämistrasse aufhebt. Und wir wissen genauso wenig, wohin es dann weitergeht, mit dem guten Geld.«
»Es fällt aus dem System«, sagte Eschenbach spontan.
»Sie sagen es, Kommissario. Es fällt aus dem System.«
Eschenbach dachte scharf nach, biss sich auf die Unterlippe: So einfach war es nicht. »Wir können Herrn Müller fragen, wo sein Geld ist. Herr Müller, der ein Nummernkonto hat, aber den wir natürlich kennen – kennen müssen.«
»Ich habe keinen Zugriff auf die vielen Müllers.« Rosa hob die Schultern. »Aber es würde uns auch nicht weiterhelfen, weil Herr Müller nicht verpflichtet ist, uns zu sagen, wohin er sein Vermögen bringt. Er könnte es ebenso bar abheben, in einen Koffer packen und einfach verschwinden.«
»Zehn Milliarden in bar.« Eschenbach schüttelte den Kopf. »Das ist doch Blödsinn. Haben Sie denn nichts gefunden … Ich meine etwas, das vernünftiger daherkommt.«
Rosa seufzte. »Ich habe wirklich nachgeforscht … Hier«, sie tippte mit dem Finger auf den Bildschirm. »Das System gibt mir immer denselben Eintrag: réduit .«
»Réduit?«
»Das ist auch französisch.«
»Ich weiß das auch, Frau Mazzoleni. Das Verb heißt réduire und bedeutet kürzen, streichen …« Eschenbach hatte es von Rosas Notizblock abgelesen. Sie hatte sämtliche Konjugationen aufgeschrieben, Redewendungen und dergleichen. Mit ihrer Kalligraphiefeder und wie immer mit grüner Tinte. Es war eine schwungvolle Handschrift, die Rosa führte und bei der Eschenbach manchmal das Gefühl hatte, er kenne sie besser als seine eigene.
»Je réduis, tu réduis, il réduit, nous réduisons …«
»Sie brauchen das hier gar nicht abzulesen und so zu tun, als wüssten Sie’s«, unterbrach ihn Rosa etwas gereizt. »Die Bedeutung ist nämlich vielschichtig. Ich bin halt so mit Sprachen, probier einfach mal rum … und sehen Sie«, Rosa deutete auf den Schreibblock, »zusammen mit être hat es auch die Bedeutung von gezwungen sein zu . Also, ich find das sowieso komisch, wenn das hier steht. Vielleicht sprechen Sie den Herrn Banz einmal darauf an. Er müsste schließlich wissen, wohin seine Milliarden gehen. Wir können dann immer noch mit jemandem von der Revision reden.«
»Drucken Sie mir das bitte aus«, sagte Eschenbach und wies mit dem Kinn in Richtung Bildschirm. »Ich werde Banz gleich morgen darauf ansprechen.«
»Ausdrucken geht nicht … Eine Sicherheitsmaßnahme des Systems«, Rosa grinste. »Aber wir können es fotografieren.«
»Wenn wir einen Fotoapparat hätten.«
Rosa sah Eschenbach lange und durchdringend an. »Kommissario«, sagte sie.
Aber der Kommissario kam nicht drauf.
»Geben Sie es mir bitte.« Sie sprach leise, wie zu
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