Rütlischwur
Vorderzähne: »Scheiße, Scheiße … Es ist, wie ich vermutet habe. Das Ding hat ein Dual-GPS Processing System … Will heißen, Banz kann von jedem Ort auf der Welt auf die Maschine zugreifen.«
»Und warum tut er es dann nicht?«, fragte Judith.
Die Frage blieb im Raum stehen, wie schlechte Luft. Niemand sagte etwas, bis der PC-Doc plötzlich, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen, beide Hände in die Höhe warf und »Jetzt aber!« rief. Ein Ausspruch, der eine Mischung aus Hochachtung und Empörung war.
Der Doc zog alle Stecker und Kabel aus dem Laptop, umwickelte ihn mit der Daunendecke – alles begleitet durch eine Reihe ununterbrochener, leiser Schimpfwörter. Als er das Paket fertig hatte, drückte er den ganzen Wust unters Bett, dann packte er seine Geräte zurück in den Aluminiumkoffer. »Im Moment zerstört ein Programm die Festplatte. Ich konnte es nicht mehr stoppen. Und wenn ich hier richtig liege, dann fliegt das Ganze spätestens in zehn Minuten in die Luft.«
»Sprengstoff?«, fragte Imholz.
Der Doc nickte. »Nicht viel … Aber es reicht, damit von der Kiste nicht mehr viel übrig bleibt. Gehen wir.«
Zwei Minuten später hatte Judith ihre nassen Kleider wieder angezogen und folgte Imholz nach draußen. Der zweite Mann, von dem sie inzwischen wusste, dass er Sam hieß, bildete die Nachhut.
An der Ecke bei Hugo Peters auf dem Gehsteig wartete ein schwarzer Audi A6 mit laufendem Motor.
»Warum hat Banz so lange gewartet, bis er den Laptop zerstörte?« Judith saß hinten im Fond neben Imholz, Sam vorne, neben dem Fahrer. Erwartungsvoll sah sie ihren Vorgesetzten von der Seite an.
Imholz schwieg.
Sie fuhren den Utoquai entlang bis zum Bellevue.
Es war Sam, der ihr auf die Frage eine Antwort gab.
»Ein Dual-GPS-Prozessor misst die Entfernung zweier Sender. Der Laptop von Banz war so programmiert, dass er sich selbst zerstört, wenn er über eine gewisse Zeit zu weit von seinem Besitzer entfernt ist. Es ist also alles ganz automatisch gegangen. Banz hat überhaupt nichts gemacht.«
»Nichts?«
»Nein, nichts. Banz wurde nämlich erschossen«, sagte Imholz.
Judith war einen Moment still, dann lachte sie auf, wie über einen schlechten Witz. Sie schüttelte den Kopf. »Ihr wollt mich wohl für blöd verkaufen, eh? Das ist doch völliger Schwachsinn …«
»Mit einem Schuss ins Genick«, unterbrach sie Imholz. »Und ich wäre jetzt froh, wenn du einen Moment schweigen und deine Ohren spitzen würdest … Ich möchte das alles nämlich nicht zweimal erzählen.«
»Okay, okay.« Judith wunderte sich über den gehässigen Ton ihres Chefs.
»Wir bringen dich jetzt auf die Polizeiwache beim Bahnhof. Ich hab dort angerufen, die wissen, dass wir kommen. Wegen der Sache mit Banz …« Ein tiefer Seufzer erklang. »Also da kannst du natürlich auf stur machen. Aber ich sag dir, am besten ist es, wenn du uns jetzt die Waffe gibst … Gleich am Anfang. Sag, wie es ist. Ein Geständnis, weil, glaub mir …«
»Schon klar«, sagte Judith, die es innerlich beinahe zerriss.
»Eben. Und einen Link zum SND hat es nie gegeben. Das war eine der Abmachungen, die wir getroffen haben. Ich nehme an, auch das ist dir klar, wenn du so etwas in die Welt stellst … Der SND würde sich deutlich distanzieren.«
»Ja natürlich, und wie«, sagte Judith und erzählte sich die Geschichte selbst zu Ende: wie es nach dem Distanzieren weitergeht, wenn man bei seiner Meinung blieb. Eine kleine Diffamierungskampagne in den Medien würde folgen, und am Ende wüssten die Leute ganz genau, wie der Fall liegt.
Sie würden ausrufen: Ach so!
Und sie würden die Zeitung beiseitelegen und denken: Um Gottes willen! Das Mädchen stand also unter Drogen, wer hätte das gedacht.
Eine Nutte?
Kein Wunder!
Eine, die Daten klaut – haben wir das nicht immer gesagt?
Und jetzt ist sie auch noch eine Terroristin!
Oh, Heinrich, mir graut!
Wen die Banken heutzutage alles einstellen!
Wie beim Häuten einer Zwiebel gelangte Judith allmählich zum Kern der Geschichte, erkannte das Ausmaß der Katastrophe und die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage. Und wie beim Häuten einer Zwiebel kamen ihr die Tränen. Verzweifelt, wie sie war, legte sie ihre Karten auf eine Limmat aus grünem Filz. Nur noch ganz leise hörte sie, wie Imholz weitersprach.
»… und wie wir uns bei der FINMA zur Sache äußern werden, das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Da spielt immer auch Politik mit rein, und da weiß man
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