Rütlischwur
Rosenbusch?«
Der Bruder schüttelte den Kopf. »Nein, nein … Vermutlich versteckt sie sich zwischen zwei geparkten Autos. Da stehen bestimmt welche, beim Stadthausquai. Ich kenne die Gegend. Sie können Judith selbst fragen, ich war ja nicht dabei.«
Eschenbach entschied, keine Zwischenfragen mehr zu stellen, auch wenn sie ihm noch so auf der Zunge brannten.
»Judith behält den Wagen im Auge, beobachtet, wie die Männer zu sich kommen und wie sie streiten … Wegen des Unfalls und weil Judith geflüchtet ist. Sie realisiert, dass sich das Blatt gewendet hat.«
»Und was geschieht mit mir?«
»Sie landen im Kofferraum.«
Eschenbach lachte. »Wie in einem amerikanischen Film … Ich wundere mich immer, warum den Leuten nicht mal was Neues einfällt.«
»Das ist kein Witz … Es ist der springende Punkt.« John rückte die kleine Nickelbrille auf seiner Nase zurecht. »Bedenken Sie, Kommissar, Sie sind ein großer und schwerer Mann. Da mussten alle drei anpacken, um Sie vom Boden aufzuheben …«
»Und diese Gelegenheit hat Judith ergriffen«, folgerte Eschenbach, der sich den Rest der Geschichte inzwischen denken konnte.
»Genau. Sie ist eine Frau der Tat«, sagte John.
»Die sich dann ans Steuer setzt und einfach davonbraust.« Eschenbach trank den letzten Schluck seines inzwischen kalt gewordenen Espressos. Ungläubig schüttelte er den Kopf.
»Ich weiß nicht, wohin die Leute in amerikanischen Filmen gebracht werden …«, bemerkte John und hob etwas enttäuscht die Augenbrauen. »Ich meine, nachdem man sie in den Kofferraum gesteckt hat.«
»Sie erwarten, dass ich mich jetzt auch noch bedanke.«
»Dankbarkeit ist nie ein schlechter Anfang … Auf jeden Fall hat Judith mich angerufen, irgendwo von unterwegs. Denn sie wusste, wen sie im Schlepptau hat.«
»Ach ja?«
»Nun, Sie waren zu dieser Zeit ein Angestellter der Bank. Ein wichtiger sogar … hat Judith gesagt. Sie hat Sie sofort erkannt. Direktor von irgendwas.«
»Compliance.«
»Sie sagen es! Und wo wären Sie denn lieber hingebracht worden statt hierher, ins Kloster?«
»In ein Spital zum Beispiel«, sagte Eschenbach und massierte sich mit beiden Händen den Nacken.
»Herr Kälin ist ein hervorragender Arzt. Sie wurden rund um die Uhr versorgt und gepflegt.«
»Na ja.« Eschenbach wollte nicht undankbar sein. Er nickte. Sein Kopf schmerzte. Ausgelöst durch den Bericht des Mönchs, hatte er plötzlich das Gefühl, dass er sich an einige der Gegebenheiten wirklich erinnern konnte. Aber sicher war er sich nicht. Was den Unfall betraf, durchmischten sich die Bruchstücke der Erinnerung konturlos mit dem, was John ihm erzählte. Der Kommissar wurde das seltsame Gefühl der Unsicherheit nicht los, das ihn seit Tagen so hartnäckig begleitete. Es war nur eine kleine Lücke in seinem Gedächtnis. Aber sie war da. Und in Momenten wie diesem weitete sie sich aus zu einem großen Raum ohne Boden, ohne Decke und Wände – nur mit Möbeln, von denen er nicht wusste, ob es seine eigenen waren.
Wenn das so weiterging, war er auf dem besten Weg in den Wahnsinn.
Zudem ging ihm der Mönch mit seiner Gelassenheit langsam auf den Geist. Das ausschweifende Geschwätz und die Art, wie er den Mund spitzte, bevor er einen Satz begann. Die kleinen nussbraunen Äuglein, die ständig in Bewegung waren.
Seine Leichtgläubigkeit.
Einfach alles.
»Zürichsee – Katzensee – Greifensee«, begann John seine Aufzählung, nicht ohne Amüsement.
»O nein!«
»Türlersee – Pfäffikersee – Hüttnersee – Sihlsee.« Bei jedem neuen See hob der Ordensbruder die linke Augenbraue. »Die sind alle von Zürich aus erreichbar, in einer halben Stunde. Dann hätten die Ihnen vielleicht einen Stein ans Bein gebunden, und Sie wären nie mehr aufgetaucht.«
»Haha.«
»Was wissen wir schon von diesen Leuten?«
»Dass einer von ihnen, Judiths Chef …« Eschenbach, der zwischen Heiterkeit und Ernst hin- und hergerissen war, machte mitten im Satz eine Pause. Was John gerade erzählte, war derart abstrus, dass der Kommissar die Unterhaltung um ein Haar abgebrochen hätte. Wieso erzählte der Mönch ihm solche Räubergeschichten? Neugierig geworden, fuhr der Kommissar fort: »Wenn also dieser Imholz bei der FINMA arbeitet, wie Sie sagen … Also dann ist der nicht von der Mafia. Vermutlich wollten die mich ins Krankenhaus fahren.«
»Und das glauben Sie?« John schüttelte den Kopf: »Nein, nein, nein.«
»Sondern?«
»Judith rettete Ihnen das
Weitere Kostenlose Bücher