Rütlischwur
Sicherungsstellung,
– eine Alpen- oder Zentralraumstellung (réduit national), die im Osten, Westen und Süden durch
– die einbezogenen Befestigungen von Sargans, St. Maurice und des Gotthard flankiert wird.
Die diesen drei Widerstandsstaffeln zugewiesenen Aufträge sind die folgenden:
– derjenige der Grenztruppen bleibt aufrecht;
– die vorgeschobene oder Sicherungsstellung sperrt die Einfallsachsen in das Innere des Landes;
– die Truppen der Alpen- oder Zentralraumstellung halten, mit größtmöglichen Vorräten versehen, ohne jeden Gedanken an Rückzug.
Aber es ist vor allen Dingen wichtig, dass die Bevölkerung auf keinen Fall in der Richtung auf das Réduit zurückströmt, wo sie den Erfolg der Operation in Frage stellen und nicht über genügend Vorräte verfügen würde.
gezeichnet: General Henri Guisan
Beim Lesen des letzten Satzes durchfuhr Judith ein leichter Schauer. Natürlich war nach dem Krieg allmählich bekannt geworden, was das Einschwenken des Generals auf eine Réduit-Strategie bedeutet hätte: Bei einem Angriff wären die Grenzgebiete und große Teile des Mittellandes mehr oder weniger kampflos dem Feind überlassen worden.
Der Wehrwille der Schweiz – oder besser gesagt, der ihrer Generalität – bestand in einer gigantischen Opferbereitschaft. Dass man diese so konkret mit dem Bundesrat abgesprochen hatte, befremdete Judith.
Weshalb hatte Banz dieses Schreiben auf seinem PC? Es war eines jener Dokumente, die vielleicht für Historiker noch interessant waren, dessen aktuelle Bedeutung sich Judith aber nicht erschloss. Weil sie noch immer fröstelte, zog sie die Daunendecke bis unter die Arme hoch. Die Batterieanzeige auf dem Laptop schien die Minuten schneller zu zählen als die Uhr an ihrem Handgelenk. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Ihr Blick fiel auf eine Reihe alphabetisch geordneter Files, die keine Typenbezeichnung hatten: AMOS, DANIEL, HABAKUK, HESEKIEL, HOSEA … Judith klickte auf einen Namen, und als nichts geschah, auf drei weitere. Es passierte nicht das Geringste.
Während sie bei REDUIT nur ungefähr wusste, was gemeint war, hatte sie bei diesen Namen eine klare Vorstellung, woher sie stammten. Aber warum hatte Banz sie aufgeführt? Es war der Zusammenhang, der ihr fehlte. Sie suchte weiter und fand ein Icon mit der Bezeichnung DUB.MOV. Als sie es aufrief, öffnete sich eine Applikation, und ein kleines Fenster erschien:
Loading …
Kapitel 15
Links und rechts der Limmat
S ekunden später wurde ein Film abgespielt, aufgenommen im Halbdunkel eines kahlen Raums, mit einem Handy oder einem Fotoapparat. Die Qualität war miserabel.
Ein Gesicht erschien in einer Nahaufnahme. »Es hat keinen Sinn …«, keuchte der Mann. Die Haare klebten nass an seiner Stirn. Die Kamera schwenkte. »Lass es … Ich kann nicht mehr.« Die Augen kamen zurück ins Blickfeld, sahen direkt in die Linse.
Judith wusste nicht, ob sie Angst oder Lust ausdrückten.
»Tu mir den Gefallen und lass es …«
»Ach was!«
»Bitte!«
Die Kamera schwenkte wieder. Der Boden kam nun ins Blickfeld. Nur der Boden. Ein geometrisches Bild aus Platten und Fugen bildete die Kulisse für weiteres Keuchen und Stöhnen.
Judith sah auf die Batterieanzeige am oberen rechten Rand des Bildschirms. Es blieben noch fünfzehn Minuten.
Als das Gesicht wieder erschien, war es tropfnass. Ein Rauschen erklang. Judith starrte gebannt auf die Filmsequenz, die sich in einem kleinen Rechteck und in düsteren Farben vor ihr abspielte.
In diesem Moment klopfte es an der Tür.
Instinktiv drückte Judith auf die Taste, die den Ton am PC ausschaltete.
Stille.
* * *
Zur selben Zeit, auf der anderen Seite der Limmat, klingelte ein Handy. Hätte man eine Schnur durch die Luft gespannt, von der Stille hier bis zum Lärm dort, und hätte man die Distanz gemessen, es wären keine fünfhundert Meter gewesen.
Eschenbach schrak auf, als hätte bei ihm eine Bombe eingeschlagen. Er griff, ohne die Nachttischlampe anzuknipsen, nach dem Apparat, setzte sich sofort auf die Bettkante und rief zweimal laut »Corina!« ins Telefon.
Am anderen Ende war es ein paar Sekunden still. So still, dass Eschenbach im Dunkeln seinen Herzschlag hören konnte. Dann hörte er die Stimme von Claudio Jagmetti.
»Das ging jetzt aber verdammt schnell.«
»Claudio?«
Tiefes Schnaufen am anderen Ende der Leitung.
»Ja, ich.«
»Hab nur gedacht … weil in Kanada jetzt Tag ist. Aber vielleicht bin ich es einfach nicht mehr
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