Rütlischwur
gezwängt.
»Setz dich!«, schrie der Bündner. Er riss am Lenkrad, bremste hart und gab wieder Vollgas.
Gemäß dem dritten Newton’schen Axiom (actio et reactio) schüttelte es den Kommissar wie in einem Tumbler.
»Gopferdammi!«
Unsanft knallte Eschenbach zurück in seinen Sitz. »Ich bin rekonvaleszent. Fahr bitte anständig!«
Eine Weile reduzierte sich die Unterhaltung auf das Röhren von vier zornigen Zylindern.
Eschenbach tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ich habe Clooney mit einem Bart gesehen …«, murmelte er. »Bei dem sieht’s cool aus.«
»Du bist nicht Clooney.«
»Bligg hat auch einen … und Stefan Gubser.«
Die Bartdiskussion hielt sich bis hinunter auf die Autobahn. Dann öffnete Claudio das Fenster und schob das Blaulicht aufs Dach. »Wenn du jetzt noch Klamotten holen musst, dann müssen wir Gas geben.«
»Noch mehr Gas?«
Es war ein abrupter Wechsel von der Einsiedlerruhe mitten in eine Verfolgungsjagd. Auch wenn es nur die Zeit war, hinter der sie herfuhren. Eschenbach hatte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.
»Die Abdankungsfeier von Banz beginnt in zwanzig Minuten.«
»Ich kann dort unmöglich im Trainingsanzug hin. Setz mich bei mir zu Hause ab …« Eschenbach sah auf die Uhr. »Von mir zu Hause sind das nur ein paar Meter rüber ins Fraumünster.«
»Ich weiß«, sagte Jagmetti. »Der Dreck ist nur, Banz verabschiedet sich im Grossmünster.«
»Ehre, wem Ehre gebührt.«
Kapitel 17
Nessun dorma
D as Glockenspiel war noch nicht verklungen, als der Kommissar ins Mittelschiff schlich. Trotz aller Vorsicht bemerkten ihn einige Gäste und zogen bei seinem Anblick die Augenbrauen hoch.
Die Kirche war zum Bersten voll. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten gewesen. In der hinteren Hälfte war kein leerer Sitz auszumachen. An den Wänden entlang standen dicht gedrängt weit über hundert Menschen. Eine schwarzbetuchte Gesellschaft, die andächtig zu Boden blickte oder mit ausdrucksloser Miene über die Köpfe hinweg nach vorne zum Altar starrte.
Eschenbach hielt Ausschau nach Jagmetti. Er entdeckte den Bündner, der gerade eine SMS tippte, neben einer Säule.
Der Pfarrer, der ein paar einleitende Worte gesagt hatte, hob die Hände zum Gebet.
Die Trauergäste standen auf.
Eine kleine Unruhe entstand: das übliche Hüsteln und der kurze, geflüsterte Wortwechsel mit dem Sitznachbarn.
Der Kommissar nutzte die Gelegenheit und huschte an ungefähr zwanzig Leuten vorbei. Ein paar von ihnen kannte er von der Bank. Zweimal musste er sich durchzwängen, weil kaum Platz war. Von einer eleganten Frau Anfang fünfzig erntete er missbilligende Blicke. Eschenbach glaubte in ihr Doris Röffler zu erkennen, eine Mitschülerin aus seiner Zeit am Gymnasium.
»Dein Reich komme«, murmelte Jagmetti, als Eschenbach neben ihn trat. Der Kommissar stellte sich unauffällig neben seinen jüngeren Kollegen und bewegte die Lippen. Aber er fand die Worte nicht. Also tat er nur so, ohne einen Laut von sich zu geben. Wie schwierig es doch war, mitten im Gebet einzusteigen.
Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Es war wie mit den Klavierstücken, die er als Kind gespielt hatte. Wenn er an einer schwierigen Stelle rausflog, begann er von vorne. Immer wieder. Ganz zum Leidwesen seiner Klavierlehrerin, die ihn hieß, nur diese eine Stelle zu üben. Aber das konnte er nicht. Er brauchte einen Anfang, um zu einem Ende zu kommen.
»In Ewigkeit. Amen.«
Eschenbach hielt sich an Jagmetti fest.
»Warum hast du dich nicht umgezogen?«, flüsterte Claudio, während sich die Leute wieder setzten. »Du siehst aus wie die Typen, die an den Bahnhöfen herumlungern und rauchen. Hast du keine Kleider mehr?«
»Doch … Ich meine, nein.« Eschenbach zog den Schlüsselbund aus der Tasche seiner Trainingshose. »Mein Wohnungsschlüssel fehlt.«
»Bist du sicher?«
»Ich kenne doch meinen Wohnungsschlüssel.«
Der Pfarrer bat Alois Kaltenbach nach vorne.
»Kennst du den?«, fragte Jagmetti.
Eschenbach spürte, wie eine leichte Übelkeit in ihm hochkam. Seine Beine zitterten. »Der ist Partner bei der Banque Duprey … Ein enger Vertrauter von Banz.«
»Sein Nachfolger?«
»Könnte sein.«
Still und scheinbar emotionslos würdigte Kaltenbach das Leben und Wirken des Bankiers. »Jakob war ein Kämpfer für die Sache, er war, was wir alle sind: ein passionierter Streiter für die Freiheit.«
Die Worte erreichten Eschenbach wie durch Watte.
»Für welche Sache kämpfte Banz?«,
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