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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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wegen der Schlüsselgeschichte ein zweites Mal bei seiner Nachbarin an. Wieder ohne Erfolg.
    Die andere Vertrauensperson, die ebenfalls einen Wohnungsschlüssel hatte, war seine Frau Corina. Sie war mit der dritten Schlüsselbesitzerin (seiner Tochter Kathrin) in Kanada. Auch dort rief Eschenbach an. Höchste Zeit, denn die beiden wussten noch nichts von seinem Unfall. John hatte Corina am Vorabend nicht erreichen können. Das hatte ihn der Bruder gleich am Morgen wissen lassen, als er Eschenbach das Handy wieder zurückgegeben hatte.
    Als wieder nur die Combox ansprang, bat er Corina um einen Rückruf. Eschenbach sah auf die Uhr. Es war halb acht an einem Freitagabend. In Vancouver – neun Stunden früher – also halb elf. Um diese Zeit hatte Corina noch nie geschlafen.
    Natürlich gab es bessere Geschichten, die erzählten, wie einsame Männer ihren Weg ins Kloster fanden. Der Verlust eines geliebten Menschen zum Beispiel, durch Krankheit und Tod. Schwere Schicksalsschläge, die einem den Boden unter den Füßen wegzogen. Eschenbach war weit davon entfernt, auch wenn er sich um seine beiden Frauen langsam Sorgen machte. No news are good news , sagte er sich. Bestimmt würde Corina ihn zurückrufen.
    Es war ein anstrengender Tag gewesen. Das Rennen mit Claudio gleich nach dem Frühstück, die Abdankungsfeier von Jakob Banz. Der Kommissar empfand eine tiefe Müdigkeit, aber wirklich bedrückt war er nicht. Zu sehr wirkte Rosas herzliche Umarmung nach, und dass Christian ihm seine Luxuswohnung zur Verfügung gestellt hatte, war das Zeichen einer schönen Freundschaft gewesen.
    In der Halle des Hauptbahnhofs kaufte Eschenbach sich eine Bratwurst, löste ein Ticket und setzte sich in die S2. Er fuhr bis Wädenswil; dort verließ er den Zug, stieg um in die Südostbahn, die ihn weiter bis nach Einsiedeln brachte.
    Bestimmt hätte er auch bei Christian übernachten können. Aber das wollte Eschenbach nicht. Die Abgeschiedenheit im Kloster hatte ihm gutgetan. Er sehnte sich geradezu nach dieser friedlichen Stille. Er musste Kräfte sammeln und einmal in aller Ruhe über alles nachdenken.
    Als er von unterwegs in der Benediktinerabtei anrief, um seine Rückkehr anzukündigen, war er überrascht. Keine Combox und auch kein Band! Eine sonore Männerstimme meldete sich, freundlich und in personam .
    »Selbstverständlich, und reisen Sie gut. Ich werde Bruder John sofort benachrichtigen.«
    Der Kommissar sah dieselbe Landschaft, durch die er mit Jagmetti gerast war, nochmals an sich vorbeiziehen. Langsam und beschaulich, im sanften Streulicht einer untergehenden Sonne. Einen kurzen Moment dachte er daran, wie es wohl wäre, wenn er sich der Bruderschaft in Einsiedeln anschließen würde. Rein hypothetisch natürlich: gedacht für jemanden, der keine Familie hatte (so wie er im Moment) und keine wirkliche Aufgabe (auch so wie er).
    Arbeiten oder Beten waren keine schlechten Mittel gegen die Einsamkeit. Gegen den Hauch von Schwermut, den der Kommissar kannte, und gegen das Verlorensein in Großstädten und Zügen. Vielleicht würden die Herren der katholischen Kirche einmal bereit sein, über eine Berlusconi’sche Variante des Zölibats nachzudenken.
    Während sich Eschenbachs Gedanken im Konjunktiv verloren, begann sein Handy zu klingeln und zu vibrieren.
    »Ich bin sauer, einfach nur saumäßig sauer!« Es war Corina. So wie es schien, meinte sie tatsächlich, was sie sagte.
    »Ich kann’s dir erklären.«
    »Du kannst immer alles erklären. Das ist es ja, was mich rasend macht. Tagelang versuche ich dich zu erreichen … flöte dir Gedichte von Rilke auf die Combox. Von Rilke, hörst du? Ich weiß nicht, wann ich so etwas Idiotisches zum letzten Mal gemacht hab. Und was passiert? Nichts … rein überhaupt gar nichts. Wenn ich dich nicht besser kennen würde, ich hätte mir vielleicht Sorgen gemacht. Aber ich weiß ja, wie’s läuft. Es ist immer dasselbe. ­Wieder genauso wie früher, als du bei der Kripo warst: Ich höre nichts und weiß nichts … Ein Scheißgefühl ist das.«
    »Corina, Corina!«
    Aber seine Frau hatte bereits aufgelegt.
    Im Kloster empfing ihn Bruder Pius, ein Mönch, den Eschenbach noch nie gesehen hatte. Er überreichte ihm eine Notiz von John und begleitete ihn auf sein Zimmer.
    Ich melde mich morgen früh , stand auf dem Zettel.
    Eschenbach zog seine Kleider aus und legte sich aufs schmale Bett. Er hätte gerne auf seiner Combox das Gedicht von Rilke abgehört. Während er versuchte, sich an

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