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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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die Zeit, die uns am Ende bleibt, immer kostbarer wird.«
    Eschenbach ging mit Kaltenbach die paar Schritte bis zur Tür. »Wenn ich ein Verhör führe, weiß ich nie, ob ich am Ende ein Geständnis bekomme oder nicht.«
    »In der Tat, Monsieur Eschenbach. Darin unterscheidet sich unser Geschäft. In den Verhandlungen, die ich führe, steht am Ende immer ein Betrag. Eine kalkulierbare Summe.«
    »Eine Million Schweizer Franken.«
    »Ja, so ist es. Eine absehbare Entwicklung.«
    Die beiden Männer verabschiedeten sich ohne Händedruck.
    Anstelle des Aufzugs entschied sich der Kommissar für das Treppenhaus. Während er die Stufen hinabschritt, beschleunigte er das Tempo. Je schneller seine Schritte wurden, desto mehr überkam ihn das Gefühl, dass er die Kontrolle über seine Beine verlieren würde. Immer schneller zappelten sie unter seinen Hüften. Zu seinem eigenen Verwundern stürzte er nicht, sondern landete, geschüttelt wie eine Marionette, sicher in der fünften Etage.
    Kaltenbach lag falsch, wenn er glaubte, dass er wegen des Betrags unterschrieben hätte.
    Dieses arrogante Arschloch!
    Es war Rosa gewesen.
    Vor allem Rosa.
    Und nur ein kleines Quäntchen das viele schöne Geld.
    Eschenbach öffnete die Tür zu den Büros und ging, ohne nach links oder rechts zu blicken, direkt auf Rosas Arbeitsplatz zu. Die Tischlampe brannte, der PC war eingeschaltet (der Screensaver zeigte ihr Patenkind Stefano, als er noch ein kleiner Junge war), aber von Rosa fehlte jede Spur.
    Der Kommissar schrieb einen Gruß auf einen gelben Post-it-Zettel und klebte diesen direkt auf Stefanos Schnuller am Bildschirm. Dann verließ er die Bank.
    Als Eschenbach eine Stunde später zurück ins Kloster kam, fand er John, wie er vornübergebeugt am großen Tisch im Büro der Bibliothek saß und eine Fotografie begutachtete. Mit einer riesigen Lupe.
    »Doktor Watson!«
    Der Bruder zuckte zusammen, als hätte ihn ein Stromschlag getroffen.
    »Jesus! Ich habe Sie überhaupt nicht kommen hören.« John stand auf, um sich gleich darauf wieder zu setzen.
    »Sie haben etwas Interessantes gefunden?«
    »Allerdings!«
    Eschenbach durchschritt den Raum, blieb neben John stehen und blickte ihm über die Schulter. »Und, was ist es, wenn ich fragen darf?«
    »Eine Fotografie.«
    »Das sehe ich.«
    »Ich bin gleich fertig, dann erkläre ich Ihnen alles.«
    Konzentriert, mit zusammengekniffenen Augen linste der Bruder durch das Vergrößerungsglas, wobei er die Lupe immer näher ans Zielobjekt heranführte.
    Eschenbach bemerkte neben der Fotografie einen Stapel mit Papieren und ein A4-Blatt, das komplett mit Buchstaben vollgekritzelt war.
    Ein Seufzer erklang.
    John legte die Lupe vorsichtig auf den Tisch, nahm die Nickelbrille von der Nase und rieb sich die Augen. »Die Inschrift ist nur noch sehr schwer zu erkennen. Sie lautet: Annie & Ch. Stiner.«
    »Eine Inschrift?«
    »Auf dem Grabstein von Judiths Eltern, in Irland.« John setzte die Brille wieder auf und blickte kurz zu Eschenbach hoch. »Laut den Angaben, die wir bisher hatten, waren sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Vor vierundzwanzig Jahren. Judith war damals vier Jahre alt.«
    »Und Sie überprüfen das jetzt?«
    »Allerdings.«
    »Mit dieser Lupe und einer alten Fotografie?«
    »Sie lachen mich aus!«
    Eschenbach verdrehte die Augen. »Nein, natürlich nicht. Ich habe mir nur gedacht … Unfall mit Todesfolge, dazu gibt es bestimmt einen Polizeibericht. In einem solchen Fall nimmt man das Telefon in die Hand und ruft an … die Kollegen in Irland! Vielleicht haben die ja eine Datenbank und finden etwas.«
    Der Bruder strahlte nun, und eine freudige Erregung zeigte sich in seinem Gesicht, als er konzentriert die Lippen spitzte und fragte: »Das heißt, Sie würden das genau so machen, einfach dort anrufen und fragen?«
    »Genau so«, sagte Eschenbach.
    »Und Sie würden behaupten, Sie wären Polizist, obwohl Sie genau genommen ja gar keiner mehr sind?«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Weil die ihre Berichte ja nicht ohne weiteres so herausgeben.«
    »Ach so.«
    »Sie würden also lügen?«
    Eschenbach zögerte. »Sie sind doch katholisch, lieber John …«
    Der Bruder nickte.
    »Sehen Sie, und ich bin Polizist. Es gibt Dinge, die ändern sich nicht so schnell im Leben. Natürlich könnten wir Claudio Jagmetti damit beauftragen, das ginge dann aber länger … und am Ende würde dasselbe Resultat herauskommen. Also, was soll’s. Und im Übrigen ist das eine rein

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