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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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angesehen. Es sind Barbezüge, die über längere Zeit erfolgt waren. Über die gleiche Zeitspanne übrigens hat Duprey größere Mengen an Goldbarren gekauft. Dies lässt mich vermuten, dass die Summe in Form von physischem Gold die Bank verlassen hat.«
    »Gold ist eine gute Investition, gerade heutzutage«, sagte Walther. »Die Preise haben sich vervielfacht.«
    »Wenn das noch ein oder zwei Jahre so weitergeht und bei Duprey in diesem Stil Geld abfließt, dann sind wir bald unter der kritischen Grenze von vier Milliarden Kundenvermögen. Dar­unter rentiert sich eine Bank langfristig nicht.«
    »Sie sind intelligent und können rechnen.« Walther zündete sich eine Zigarette an. »Wir werden Duprey schließen – ein geordneter Rückzug. Das haben wir schon vor ein paar Jahren so beschlossen, als sich die bedrohliche Situation abzeichnete.«
    »Wusste Banz davon?«
    »Er war der Erste, zusammen mit Ernest. Die beiden haben dem Verwaltungsrat damals den Vorschlag gemacht, eine neue Art von Banking ins Leben zu rufen.«
    »Ein System, das keine Spuren hinterlässt.« Judith nickte. »Hawala! Inzwischen bin ich da selbst draufgekommen. Auf das läuft es doch hinaus, nicht wahr?«
    So wie es Judith ausgesprochen hatte, lächelte Walther. »Hawala ist etwas für Migranten und Terroristen«, begann er. »Ein nettes System. Allerdings ausgerichtet auf Leute, die an etwas glauben; an Gott oder an ihre Sache. An Allah und seine Propheten, was weiß ich. Aber die westliche Welt glaubt an nichts, nicht einmal mehr an sich selbst, wenn Sie mich fragen: außer an Geld.
    Früher haben die Marmorpaläste der Banken Vertrauen erweckt. Die Leute glaubten, dass die Institute, die sich dahinter verbergen, reich und mächtig wären. Heute sind wir klüger. Wir wissen, dass es Kartenhäuser sind, die zusammenfallen, wenn ihnen der Staat nicht unter die Arme greift.«
    Walther drückte die Zigarette in ein weißes Marmorgefäß, zündete sich eine neue an und fuhr in aller Ruhe fort:
    »Nach dieser gigantischen Rettungsaktion sind anstelle der Banken nun die Staaten pleite. Wenn man von Deutschland einmal absieht, dann ist die Schweiz heute von zwei großen Armenhäusern umgeben. Sie können sich vorstellen, dass eine solche Situation Begehrlichkeiten weckt.«
    »Die Schweiz ist ein freies Land«, warf Judith ein. »Wir können uns wehren.«
    »Pah!«, machte Walther und stieß Rauch aus der Nase. »Ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Sie handelt von meinem Vater … Er hat sie mir erzählt. Immer wieder. Als er noch zur Schule ging, während des Kriegs, da war mein Vater ein armer Schlucker. Arm wie die meisten seiner Kollegen. Ihre Väter standen an den Grenzen, im Aktivdienst … und die Mütter waren damit beschäftigt, ihre gefräßigen Bälger über die Runden zu bringen. Aber da war einer bei ihm in der Klasse, der kannte diese Sorgen nicht. Sein Vater war reich, Direktor bei Bührle, einer Firma also, von der wir heute wissen, dass sie damals munter nach links und rechts Waffen verkauft hat.
    Dem Kleinen ging’s richtig gut. Der hatte Schokolade und Kekse und zu Hause eine elektrische Eisenbahn, mit der mein Vater spielen durfte, wenn er bei ihm eingeladen war.«
    »Es wird immer Reiche und Arme geben«, sagte Judith.
    »Das ist nicht der entscheidende Punkt.«
    »Sondern?«
    »Entscheidend war, dass er seinen Schulkameraden Spielsachen gab und sie teilhaben ließ an seinem Wohlstand. Vielleicht tat er es, weil er der Kleinste von allen war und obendrein kurzsichtig, sodass er ständig eine Brille tragen musste.«
    Eine kurze Pause entstand.
    »Wer nicht verprügelt werden will, muss teilen.«
    Walther lachte: »Und wer zu viel gibt, der verarmt. Es ist ein Dilemma. Die Kunst besteht darin, gerade so viel zu geben, dass man in Ruhe gelassen wird. Keinen Cent mehr. Wir machen das gar nicht so schlecht, finde ich. Wenn ich mir die neuere Geschichte der Schweiz ansehe, dann muss ich sogar sagen, dass uns das ganz hervorragend gelungen ist.«
    Judith dämmerte es: die Befehlsausgabe von General Guisan, die sie auf Banz’ Laptop gefunden hatte, ergab in diesem Kontext plötzlich einen Sinn.
    »Der Rütlirapport«, sagte sie.
    Jeremy Walther hob den Finger. »Ich wusste, dass Sie auch diesen Zusammenhang erkennen. Es wurde zwar nie schriftlich festgehalten, was Guisan seinen Hauptleuten damals auf dem Rütli wirklich erzählt hat. Es gibt Meldungen, die sagen, der General sprach bei schönstem Wetter. Nun schauen Sie sich aber

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