Rütlischwur
Dutzend Mal »okay« gesagt hatte, suchte ein anderes Wort:
» Porca miseria – bleibt denn immer alles an mir hängen?«
Bevor Lenz noch etwas sagen konnte, beendete sie das Gespräch. Wütend nahm sie ihre Tasse, ging zur Kaffeemaschine und nahm sich einen doppelten Espresso. Sie trank ihn schwarz, ohne Zucker, so wie ihn Eschenbach immer gemocht hatte.
»Weicheier«, zischte sie.
Als sie fertig war, ging sie zum Spülbecken und wusch das kleine Gefäß ab, aus dem sie getrunken hatte: Rosa stand drauf, in einem leuchtend blauen Schriftzug aus Emaille. Ewald hatte ihr die Tasse geschickt, vor drei Wochen. Handgefertigtes Steingut aus San Gimignano.
Zurück am Arbeitsplatz, nahm sie ihr Handy und tippte folgenden Satz:
scusami, ewald. und pass bitte auf, wenn du fährst. die italienischen autobahnen sind eine mördergrube. baci, rosa
Und an Eschenbach schrieb sie:
judith ist verhaftet worden. claudio kann nichts dafür. rufen sie mich bitte an. lg, rosa
Die zwischen Eschenbach, Lenz, Jagmetti und Rosa erfolgten SMS und Telefonate mit Bezug auf Judiths Verhaftung und alle weiteren Handlungen im Zusammenhang mit der Klärung des Mordes an Jakob Banz wurden von Max Höslis vielgepriesenem System weder erfasst noch beeinflusst.
Das Schicksal nahm seinen Lauf.
Zu dieser gravierenden Erkenntnis würde ein halbes Jahr später auch eine Arbeitsgruppe von externen Spezialisten kommen. Sie würden in ihrem Schlussbericht an den Kantonsrat Folgendes festhalten:
»Die mit großem Aufwand eingespeisten Leitfäden und Anweisungen für Festnahmen und die damit zusammenhängenden, sorgfältig ausgearbeiteten Maßnahmen für die Nachbetreuung von Delinquenten gingen wie ein echoloser Ruf hinaus in den Nebel.«
Und der Kantonsrat seinerseits würde in seiner Sitzung vom 26. Januar die Verhaftung von Judith Banz als Auslöser einer Reihe unnötiger Fehlleistungen kritisieren. Im Protokoll der über zweistündigen Debatte würde später nachzulesen sein:
»Die tragischen Ereignisse auf der Schiller, von denen wir heute ausgehen müssen, dass sie zum Tod von Judith Banz geführt haben, hätten verhindert werden können, wenn sich die polizeilichen Behörden einerseits und die externen, mit dem Fall verstrickten Personen andererseits im Rahmen vorgegebener Systemanweisungen bewegt hätten. Es ist Sache externer und interner Fachgruppen, das System hinsichtlich möglicher Lücken zu überprüfen und zu verbessern. Der in diesem Zusammenhang gestellte Antrag des Polizeidepartements, den Budgetbetrag für systemische Anpassungen um zehn Millionen Franken zu erhöhen, wird mit nur zwei Gegenstimmen gutgeheißen.«
Kapitel 23
Ky´rie eléison
S cheiße«, sagte Eschenbach. Und als er sah, dass die Nachricht von Rosa schon vor über zwei Stunden eingegangen war, sagte er es gleich noch einmal.
Bruder John blickte besorgt über den großen Tisch in der Bibliothek.
Die beiden hatten den ganzen Nachmittag damit verbracht, mit Hilfe der irischen Polizeibehörde mehr über den Unfall von Anne-Christine und Judith Banz herauszufinden.
Einen Unfall, der über vierundzwanzig Jahre zurücklag.
War Jakob Banz zu diesem Zeitpunkt in Irland gewesen? Weshalb wurde er in keinem der Protokolle erwähnt? Immerhin war er der Vater der Überlebenden und der Ehemann Anne-Christines. Es gab zwar einen weiteren Toten, offenbar Lenker des zweiten am Unfall beteiligten Wagens. Dieser schien aber in keiner Weise mit der Familie Banz bekannt oder familiär verbunden zu sein.
Was hatte Anne-Christine in Irland überhaupt zu tun? Woher kam sie, wohin fuhr sie? Alles Fragen, die sich John und Eschenbach notiert und im Laufe einer längeren Telefonkonferenz mit den Kollegen aus Dublin erörtert hatten. Man würde auf sie zurückkommen, hieß es.
»Mir ist aufgefallen«, sagte John, nachdem er den Kommissar eine Weile schweigend angesehen hatte, »Sie fluchen viel und reden wenig.«
»Judith ist verhaftet worden. Ich hab’s soeben per SMS erfahren.«
John schloss für einen Moment die Augen. »Das ist schade«, sagte er. »Sehr schade.«
»Schade ist, wenn eine Weinflasche zu Boden fällt«, knurrte Eschenbach.
Bruder John erhob sich, ging ein paar Schritte auf und ab. »Es macht mich traurig, wenn ich das höre … Aber wir können es nicht ändern. Wissen Sie, in welches Gefängnis man Judith gebracht hat?«
Eschenbach schüttelte den Kopf. »Aber ich kann’s herausfinden.«
»Das wäre schön … Ich bin mir nämlich sicher, dass
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