Rütlischwur
und mit einer Nadel das Zahnfleisch malträtiert hatte.
Jagmetti biss die Zähne zusammen, stieg in den Lift und drückte auf die Dreizehn. Kein Wunder! Schon das Stockwerk, in dem er sein Büro hatte, sagte alles. Dreizehn!
Als der Lift nach oben schoss, spürte der Polizist, wie ihm seine Eingeweide bis zum Hals rutschten. Er würde jetzt durch dieses Fegefeuer gehen müssen. Kein Zweifel. So war das nun einmal. Da gab es nichts dran zu rütteln.
Das Gute an Fegefeuern war, dass, wenn man einmal hindurchgegangen war, später alles ausgestanden sein würde. Alles würde wieder gut sein. Gesühnt und vorbei.
Claudio dachte daran, wie genüsslich es sich anfühlte, nach einem reinigenden Gewitter wieder richtig durchatmen zu können, weil der ganze Dreck aus der Luft gewaschen war. Er würde sich fühlen wie neugeboren. Und diese Aussicht auf die abgetragene Schuld und sein neues Leben ließ ihn erhobenen Hauptes durch zwei Türen hindurch zu seinem Schreibtisch gehen. Denn schließlich hatte er sich diese Scheiße selbst eingebrockt, mit seiner Überheblichkeit.
Und Eitelkeit!
Aber das Exekutionskommando stand nicht dort. Keine wippenden Fersen und keine Uniformen weit und breit. Als Claudio Höslis Nummer wählte, wurde er von dessen Sekretärin einsilbig abgespeist. Er kam sich vor wie ein lästiger Hund, dem man einen Tritt verpasste, damit er verschwände.
»Herr Hösli hat keine Zeit.«
»Aber er wollte doch, dass ich …«
»Ich richte Ihnen nur aus, was er mir gesagt hat. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
Stille.
Jagmetti hielt diese Stille nicht lange aus, denn sie war schlimmer als die erwarteten Höllenfeuer. Es war niemand in Sicht, der das Damoklesschwert, das über ihm hing, hinuntersausen ließ. Claudio biss sich auf die Unterlippe und wählte Rosas Nummer bei Duprey. Er erzählte ihr, was sich ereignet hatte.
Warum tat er das? Rosa hatte mit dem Fall überhaupt nichts zu tun. Sie war längst nicht mehr Teil des Systema Automatica .
»Ich habe mich aufs Fegefeuer eingestellt, und jetzt geschieht einfach nichts.«
Während Claudio am Telefon einen Satz an den anderen reihte, meldete sich sein Handy. Eine SMS war eingegangen.
Der Fall Banz ist Ihnen entzogen. M.H.
»Und jetzt?«, fragte Rosa. Sie hatte bemerkt, dass Claudios Redefluss plötzlich verstummt war.
»Jetzt hat mir Hösli gerade eine SMS geschickt. Der Fall ist mir entzogen.«
»Entzogen worden«, korrigierte Rosa mit einem Seufzer der Bestürzung. Sie hasste unfertige Sätze wie die Pest.
Es folgte eine Reihe weiterer Telefonate und SMS:
Rosa, nachdem sie sich alle Mühe gegeben hatte, Jagmetti von dummen Kurzschlusshandlungen wie einer sofortigen Kündigung abzubringen, versuchte Ewald Lenz zu erreichen, auf dessen Handy. Rosa war die Einzige, die wusste, dass der Alte eines besaß, weil sie selbst es ihm geschenkt hatte, bevor er nach Florenz gefahren war.
Und weil Lenz nie abnahm, sondern immer nur zurückrief, wenn Rosa ihm eine SMS geschrieben hatte, tippte sie:
lieber ewald,
es hat nun doch eine wendung gegeben im fall banz. sie haben sie verhaftet. irgendwie ist sie bei jeremy walther aufgetaucht, und der hat sie dann verpfiffen. keine ahnung, warum. die zusammenhänge kenne ich nicht. ironischerweise hat claudio das ding verschlafen und hat jetzt probleme mit hösli. eschi ist noch im kloster, er weiß noch nichts davon. sagst du es ihm?
baci, rosa
Es ging keine zwei Minuten, bis Lenz zurückrief.
»Rosa, Cara , ich hab’s gelesen.«
»Wie geht es dir?«
»Ich packe jetzt gleich meine Sachen, bezahle die Rechnung, und dann nichts wie zurück.«
»Aber du hast doch die Prüfung … domani .«
»Sissì. I freschi di Piero della Francesca …«
An dieser Stelle wechselte Lenz in ein akzentfreies Italienisch.
»Dann bitte bleib doch.«
»Ich kann den ganzen Stoff auswendig, das ist ja nicht schwierig. Und ich hol das im nächsten Semester nach.«
»Und Eschi?«
»Ich denke, Claudio müsste es ihm sagen.«
»Okay.«
Rosa rief wieder Jagmetti an.
»Aber ich kann das nicht. Nicht jetzt. Ich hab schon genug Scheiße am Hals.«
»Okay.«
Rosa schrieb wieder an Lenz:
claudio non vuole. penso che dobbiamo diorlo noi a eschi. baci, rosa
»Claudio ist ein Feigling«, grummelte Lenz, als er drei Minuten später zurückrief. »Und ich habe schon seit Wochen nichts mehr von Eschi gehört. Der hat ja gar keine Ahnung, dass ich über alles informiert bin.«
Rosa, die in diesem Hin und Her schon über ein
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