Ruf der Daemmerung
einschmeichelnde Weisen. Und Ahi musste das auch spüren. Sonst wäre er nicht zu ihr gekommen.
»Ich will gehen, Ahi!«, wisperte sie. »Bitte, lass uns gehen ...«
»Schon?«, fragte er - hin- und hergerissen zwischen dem Druck ihrer Hand und dem Locken der Musik. »Du hast unseren Tanz noch nicht gesehen. Lahias Tanz mit den Sonnenstrahlen, die in den See tauchen ...«
»In der Außenwelt regnet es«, bemerkte Viola. »Und ich habe heute schon genug von Lahia gesehen. Vergiss nicht, ich bin Teil des Kreises. Ich spüre sie. Und sie ist« - ein Ungeheuer, wollte sie sagen, beherrschte sich dann aber - »unheimlich. Du weißt das auch, Ahi, du magst sie nicht ...«
»Nicht hier, Viola ...« Ahi schien zu erschrecken. Er wirkte blass und angestrengt, versuchte offenbar, ihre kleine Auseinandersetzung vor den anderen zu verbergen. Viola spürte die Barrieren, die er um ihr Gespräch errichtete. Sie drückte seine Hand, um ihm bacha zu geben, aber das schien hier nicht zu funktionieren. Dazu brauchte sie ihren Körper zurück. Und plötzlich sehnte sie sich nach dem Lager im Sommerhaus, nach echten Gerüchen und Geräuschen. Nach lauten Stimmen, die auch mal streiten konnten. Hier dagegen lebte man in vollkommener Harmonie, ausgedrückt durch die gemeinsamen Lieder. Viola wusste nicht, was geschah, wenn man sich verspielte, aber sie konnte sich plötzlich vorstellen, wie sehr es die Kelpies verletzte und erboste, wenn jemand aus der Reihe tanzte. Oder aus dem Kreis trat ...
Katja hätte zweifellos gesagt, diese Leute hätten schlicht keine Streitkultur. Viola sehnte sich nach Katjas scharfer Zunge. Sie wollte hier heraus. So schnell wie möglich.
»Dann komm ...«, sagte Ahi resignierend.
»Farewell, Menschenkind ...«, hörte sie noch einmal die freundliche Stimme der Alten und meinte, deren Namen zu vernehmen - Ahlanija. »Denk nicht, dass du nicht willkommen bist. Du bist immer eingeladen, mit uns zu singen. Lass dich nicht schrecken von den Ängsten der anderen. Jeder kann singen - wir können deine Töne zu unseren machen ...«
Viola antwortete nicht. Auch sie baute jetzt mit an der Barriere, die Ahi um sie errichtete. Es war schlimm genug, dass er spürte, wie unangenehm sie sogar von den freundlichen Worten der Greisin berührt wurde. »Deine Töne zu unseren machen« - das klang einfach zu sehr wie eine höflichere Formulierung für »Deine Lebenskraft in uns aufnehmen«. Ahlanijas Angebot machte ihr Angst.
Auch wenn Viola längst wusste, dass die Kelpies ihre Opfer nicht in Stücke rissen: Das Wort Auffressen wollte ihr nicht aus dem Kopf.
Nun folgte sie Ahi ein bisschen wie in Trance zurück durch die grünen und felsigen Täler am Grund des Sees und dann über die Gärten, die jetzt, da das Tageslicht rasch schwand, dunkelgrün und verstörend wirkten. Aber schließlich durchbrachen sie die Wasseroberfläche. Viola sah die Ruine des Sommerhauses wieder vor sich und den Strand der kleinen Insel. Und dann lag sie - ohne eine große Veränderung zu spüren - erneut in ihrem Körper in Ahis Armen. Es war fast, als seien sie gar nicht weggewesen, er hielt sie so zärtlich wie vorhin, half ihr jetzt aber, sich aufzusetzen, nachdem er den Amethysten vorsichtig von ihrer Haut gehoben hatte. Sie fühlte sich etwas steif, schwindelig - und empfand die bekannte, halb wohlige, halb beängstigende Schwäche, wenn sie Ahi mit bacha aushalf. Ihn hatte das Abenteuer erkennbar Kraft gekostet, er nahm ihr Geschenk dankbar an. Viola schmiegte sich an ihn und erwiderte seine zärtliche Umarmung. Eine Zeitlang saßen sie schweigend in ihrem grün verhangenen, mittlerweile dämmrigen Unterschlupf, während der Nieselregen sich langsam zu einem Wolkenbruch steigerte. Allein hätte Viola sich vor der kurzen Rückfahrt zum Festland gefürchtet, aber Ahi würde schon mit der Strömung zurechtkommen.
»Es hat dir nicht gefallen«, bemerkte Ahi schließlich in einem Tonfall zwischen resignierter Feststellung und doch noch hoffnungsvoller Frage.
Viola atmete tief aus und ein. »Ach, Ahi ... nicht gefallen ...« Sie seufzte. »So kann man das nicht sagen. In gewisser Weise hat es mir natürlich gefallen. Eure Welt ist - wunderschön. Diese Landschaft unter Wasser - das ist faszinierend, ich verstehe endlich, was die Taucher daran finden. Und eure Musik ... eure Musik ist unglaublich. Mitreißend und erregend und ... sie würde jedem gefallen. Aber sie ist auch - gefährlich. Auf jeden Fall fühlte es sich so an. Sie ... lullt
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