Ruf der Daemmerung
sie, hungrig nach bacha, vom See aus beobachtet hatten. »Er wohnte in der Nähe unseres Ferienhauses und er war so süß ... Wir haben uns total verliebt, es war unheimlich schön. Am Ende hat er mir versprochen, zu mir zu kommen, wenn er mit der Mittelschule fertig ist ...« Viola hatte keine Ahnung vom Schulwesen in Dänemark, aber sie ging davon aus, dass Shawna sich da auch nicht auskannte. »Aber ich hab's natürlich nicht geglaubt. Und jetzt ist er tatsächlich da. Er sagt, seine Eltern hätten getobt, aber er wollte zu mir ... verrückt, nicht?«
»Wunderschön!«, sagte Shawna verklärt. »Aber wie hat er das geschafft? Hat er unterwegs gearbeitet?«
Viola bewunderte es immer wieder, wie realitätsnah ihre Freundin trotz aller Träumereien blieb.
»Für die Reise hatte er wohl noch Geld. Jetzt wollte er sich eigentlich einen Job suchen, aber das ist doch Wahnsinn im Winter. Es wäre viel besser, hier weiter zur Schule zu gehen ...«, führte Viola aus. »Und wohnen könnte er in Patricks Wohnwagen. Das darf bloß niemand wissen. Wenn Ainné ihn findet, flippt sie aus!«
Shawna nickte. Offensichtlich hielt sie das für mühelos machbar. »Warum sollte sie ihn finden?«, meinte sie. »In der nächsten Zeit hat sie garantiert nur Augen für Kevin, und Bill geht da auch nicht hin. Deinen Dad musst du fernhalten, aber so schwer kann das nicht sein. Du darfst dich bloß nicht erwischen lassen, wenn du ihn besuchst.« Shawnas hellblaue Augen blitzten. Sie freute sich offensichtlich mit Viola über das Abenteuer. »Ich kann ja auch mal aushelfen und ihm was zu essen bringen oder so«, bot sie sich an. »Und im Sommer, wenn Patrick wiederkommt, kann er vielleicht bei uns aushelfen. Wir haben eine Wohnung für Sommerhelfer. Und Moiras Eltern beschäftigen auch Studenten. Da findet sich schon was.«
Viola verstand die Botschaft: Shawna wollte Viola und ihren Freund gern decken, aber im Sommer musste der Wohnwagen für Patrick frei sein.
»Und das mit der Schule ...« Shawna sprach weiter und rutschte dabei übergangslos erneut in den »Romantik-Modus«. »Oh, Vio, du musst total glücklich sein! Dein Freund und du in der gleichen Klasse! Alle Mädchen werden dich beneiden ...«
Viola war eigentlich gar nicht so wild auf derart viel Aufmerksamkeit. Aber zumindest hielt Shawna die Schule nicht für ein Problem. »Denkst du denn, er kann sich da einfach so anmelden?«, erkundigte sie sich.
Shawna nickte unbesorgt. »Klar. Ist doch alles Europa. Einen Pass wird er ja wohl haben und seine Eltern werden sicher auch einverstanden sein. Mensch, Vio, die freuen sich doch, von ihm zu hören! Und ob er nun hier in die Schule geht oder in Dänemark ...«
Viola biss sich auf die Lippen. Ahi hatte natürlich keinen Pass. Aber andererseits - das Sekretariat der Highschool in Roundwood war auch nicht das FBI.
Sie verbrachte den Abend im Internet, suchte nach dänischen Flaggen und Wappen, sowie nach einem Übersetzungsprogramm und stellte schließlich mithilfe ihres Grafikprogramms ein hübsches Kärtchen zusammen, das durchaus als dänischer Personalausweis durchgehen konnte. Als Namen notierte sie Alistair Nokken, dazu eine Adresse aus dem Ort in Jütland, in dem sie mit ihren Eltern Ferien gemacht hatte. Jetzt noch zuschneiden und laminieren - dann konnte Alistair seinen Pass vorzeigen.
Ahi lächelte, als er den Namen auf dem gefälschten Dokument las. Viola fragte sich, ob er das norwegische Wort für Kelpie kannte, aber dann wurde ihr wie selbstverständlich klar, dass er es ihren Gedanken entnommen hatte. Es war irritierend, aber alltägliche Worte brauchten Viola und Ahi kaum noch zu wechseln. Sie teilten flüchtige Überlegungen und schnappten Kommentare auf, bevor der andere sie aussprach.
»Das sollten wir uns allerdings nicht zur Gewohnheit machen«, meinte Viola. Sie kuschelten auf dem nicht sehr bequemen Bett im Wohnwagen, nachdem Viola zunächst eingekauft und Ahi sich dann in die für ihn ungewohnten und unbequemen Kleidungsstücke gezwängt hatte. Er empfand das Flanellhemd als kratzig und die Jeans engte ihn ein. Viola schnappte diese Gefühle auf, während Ahi verwundert ihre Begeisterung über seinen Anblick in den neuen Sachen registrierte. Sein schmaler, aber athletischer Körper hatte ihr von Anfang an gefallen, doch in der Kleidung der Amhralough hatte er immer fremdartig gewirkt. Die Jeans und das Holzfällerhemd in den Grau- und Blautönen, zwischen denen seine Augenfarbe schwankte, betonten die
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