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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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Pistole geschossen. Dann presste sie erschrocken die Lippen zusammen. Ihr Gesicht wurde plötzlich noch bleicher und verschlossen wie eine Maske.
    Ich legte den Kopf schief und musterte sie prüfend. »Wieso bist du dir so sicher? Kennst du dich damit aus?«
    Maren schwieg kurz und lehnte sich mit dem Rücken wie Halt suchend an die Wand.
    »Nein, nicht wirklich«, sagte sie dann. »Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es Morsecodes sind. Das wäre doch … seltsam. Oder nicht?«
    Sie lächelte mir zu, aber es wirkte bemüht. Und zum ersten Mal hatte ich das deutliche Gefühl, dass sie mich anlog. Ich konnte es nicht an einer konkreten Aussage festmachen, was es nicht besser machte. Aber irgendetwas stimmte nicht.
    Ich drängte den unguten Verdacht zur Seite.
    »Was ist mit dir?«, fragte Maren jetzt, im Tonfall wieder deutlich sicherer geworden. »Kennst du dich damit aus?«
    »Kein Stück«, antwortete ich schlicht. »Aber wofür gibt es Bibliotheken?«
    Maren seufzte. »Und ich dachte, ich würde mal wenigstens für einen Tag kein Unigebäude von innen sehen … Also los, gehen wir!«
    Ich runzelte die Stirn. »Ich dachte, du warst heute in der Uni? Zum Klavierüben?«
    Maren blinzelte kurz, dann stieß sie sich energisch von der Wand ab.
    »Das meinte ich doch. Ich dachte, ich wäre für heute mit dem Unikram fertig.« Mit schnellen Schritten ging sie zur Tür. »Komm, je früher wir hier loskommen, desto schneller sind wir wieder zurück!«
    Ich straffte die Schultern, ohne Maren aus den Augen zu lassen.
    »Du musst nicht mitkommen. Ich bin sicher, du hast Wichtigeres zu tun. Die Klavierprüfung vorbereiten, zum Beispiel«, sagte ich ruhig.
    »Wichtigeres, als mir die versprochenen Belohnungsküsse bei dir abzuholen?« Maren legte den Kopf schief. »Nein, so schnell wirst du mich nicht los. Ganz sicher nicht.«
    Merkwürdig, dass ich es zum damaligen Zeitpunkt einfach nicht verstehen wollte. Aber jetzt, im Nachhinein, wirkten ihre Worte wie eine versteckte Drohung.
    ***
    Drei Stunden später klappte ich frustriert das Buch über Morsezeichen zu. Wir waren die Letzten in der Bibliothek. Nur noch wenige Lämpchen leuchteten auf den vielen Tischen und vor den Fenstern hatte sich die Welt längst in einen dichten Mantel aus Dunkelheit gehüllt. Maren, die schon vor einiger Zeit den Kopf auf die Arme gebettet und die Augen geschlossen hatte, blinzelte müde zu mir herüber.
    »Und? Hast du etwas gefunden?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber Morsezeichen sind es wirklich nicht. Es passt einfach nicht zusammen.«
    Ich unterdrückte nur mit Mühe ein Gähnen und fragte mich, ob man mir inzwischen anmerkte, wie frustriert ich war. Langsam ging mir die Suche deutlich auf die Nerven. Wenn ich wenigstens eine grobe Ahnung hätte, worum es ging! Aber alles, was ich mir aus den bisherigen Informationen zusammenspinnen konnte, waren nebulöse Vermutungen. Und ein paar Notenblätter mit Rhythmen, die ich nicht zuordnen konnte.
    »Vielleicht ist das alles auch nur ein großer blöder Scherz«, sagte ich und streckte mich. »Irgendjemand macht sich einen Spaß daraus, Leute wie mich in die Irre zu führen.«
    Maren horchte merklich auf. »Was meinst du damit – Leute wie dich?«
    Sofort klaffte der Graben zwischen uns wieder auf. Dinge, die ich für mich behielt. Meine Fähigkeiten. Dass mir vieles auffiel, woran andere Menschen achtlos vorbeigingen. Dass ich spürte, wenn etwas in der Luft lag. Dass ich manchmal Ahnungen hatte. Und mir sicher war, hier und da auch schon Gestalten gesehen zu haben, Schatten und Lichter, Seelen, die niemand außer mir wahrgenommen hatte.
    Doch nun lag etwas anderes in der Luft: das Misstrauen, das sich bei mir Maren gegenüber eingeschlichen hatte. Seit sie so unvermittelt hatte durchblicken lassen, sich mit Morsecodes auszukennen – und genau das sofort vehement abgestritten hatte –, war irgendetwas tief in mir passiert. Ich war wachsam geworden, empfindlich, als hätten sich die Sensoren anders eingestellt, und zugleich fürchtete ich mich vor dem, was vielleicht hinter diesem dumpfen Misstrauen lauerte. Ganz offensichtlich bargen wir beide unsere Geheimnisse.
    Ich zögerte einen Moment, dann winkte ich ab.
    »Ach, das war doch nur so dahingesagt.«
    »War es das?«
    Marens Blick irritierte mich. Plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürt.
    Ich räusperte mich.
    »Es ist spät, die Bibliothek schließt gleich. Wir sollten gehen.«
    Maren nagte an ihrer Unterlippe, ohne

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