Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
Vom Netzwerk:
unter den Füßen weggezogen.
    »Ich weiß auch nicht«, entgegnete sie und lächelte fast entschuldigend. »Ich denke einfach, es ist besser, wenn heute jeder zu sich nach Hause fährt. Wir sehen uns nächste Woche in der Uni, okay?«
    Nein, es war nicht okay!
    »Ist es wegen dieser Wasserspeier-Geschichte? Du denkst, ich bin ein Freak, oder?«, hakte ich nach.
    Maren schüttelte den Kopf.
    »Nein. Das ist es nicht. Du bist ein Freak, ja. Aber mir wäre es lieber, ich wüsste, was eigentlich genau mit dir los ist, anstatt immer nur im Dunkeln herumzustochern. Du bist ein sehr komplizierter Mensch, Jakob. Vielleicht zu kompliziert für mich.«
    Damit drehte sie sich um und ließ mich stehen.
    Ich war so durcheinander, dass ich nicht einmal auf die Idee kam, ihr hinterherzulaufen und vielleicht zu retten, was zu retten war. Ich stand wie angewurzelt auf der Treppe des Bibliotheksgebäudes und starrte Maren nach. Sah sie mit den für sie typischen leichten Schritten einer Tänzerin in der Dunkelheit verschwinden und fühlte mich so elend wie schon lange nicht mehr.
    Du bist ein sehr komplizierter Mensch.
    War es meine Verschwiegenheit? Ich hatte Maren einige Fragen nicht beantwortet. War sie gekränkt?
    Ich stöhnte leise auf. Wie sollte ich denn etwas erklären, was mir selbst ein Rätsel war? Wie sollte ich das, was mich ausmachte, seit ich denken konnte, in Worte fassen, ohne sofort wie ein Verrückter zu wirken? Nein. Es war besser zu schweigen. Wenn Maren wirklich etwas an mir lag, dann würde sie damit leben können, bis ich vielleicht irgendwann von selbst das Thema auf den Tisch brachte.
    Und was, wenn sie das nicht kann?
    Der alte Rabbiner fiel mir wieder ein: Das Herz weiß es, nur das Herz.
    Leichter Groll stieg in mir auf. Dämliches Herz! Maren verschwieg mir ebenfalls eine ganze Menge, das war zumindest mein Eindruck. Und genau das warf sie jetzt mir vor?
    Ich schulterte meine Umhängetasche und das Gewicht der Bücher, die ich in der Bibliothek zu den Themen Wasserspeier, Orgelbau und Morsealphabet ausgeliehen hatte, schien mich fast niederzudrücken. Doch es war nicht allein die Last der Bücher. Die Unsicherheit, wie es nun weitergehen sollte, verließ mich den ganzen Heimweg über nicht und auch nicht in der kommenden Nacht. Es fühlte sich an, als hätte ein unsichtbarer Sturm mein Leben urplötzlich durcheinandergewirbelt. Dass dies nur der Anfang war, konnte ich damals noch nicht ahnen.
    ***
    Es begann zu regnen, während ich noch auf dem Heimweg war. Ein düsterer Regen, der sich wie in langen Fäden vom Himmel zur Erde zog und alles Leben von den Straßen vertrieb. Die wenigen Menschen gingen unter Schirmen über schimmernden Asphalt und wirkten dabei merkwürdig gefangen in ihren kleinen trockenen Blasen.
    Ich konnte mich nicht erinnern, dass die abendliche Dunkelheit mir jemals etwas ausgemacht hatte, doch jetzt trug sie ihr Übriges zu meiner gedrückten Stimmung bei. Das rote Blinken des Ostberliner Fernsehturms wirkte plötzlich höhnisch in seiner unerschütterlichen Gleichmäßigkeit. Als wäre gar nichts geschehen. Ich presste die Kiefer fest aufeinander, schlug den Mantelkragen hoch und machte mich auf den Weg nach Hause. Die Aussicht, in der WG jetzt auch noch Max entgegentreten zu müssen, war allerdings alles andere als verlockend.
    Ich kam vollkommen durchnässt zu Hause an, steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete leise, betrat den Flur. Max brauchte keine fünfzehn Sekunden. Wie eine Erscheinung tauchte er neben mir auf.
    »Warst du bei Maren?«
    Ich hörte am verwaschenen Klang seiner Stimme, dass er getrunken hatte.
    Ich seufzte. »Max, es regnet und ich bin klatschnass. Lass uns später reden, ja?«
    »Nichts da. Jetzt!«
    »Nichts da. Später!«
    Er packte mich am Ärmel, doch ich schüttelte ihn so vehement ab, dass er zurücktaumelte und fast über einen Stapel Platten stürzte, die irgendjemand bei der letzten WG-Party vergessen hatte.
    »Später, verdammt!«, schnauzte ich ihn an, riss die Tür zum Badezimmer auf, stürmte hinein und knallte sie lautstark hinter mir zu. Der Schlüssel protestierte quietschend, als ich ihn herumdrehte.
    Ich stützte mich mit den Handflächen auf das Waschbecken und atmete einmal tief durch. Das Letzte, was ich gerade gebrauchen konnte, war eine Gardinenpredigt von einem besoffenen, liebesbekümmerten Philosophiestudenten! Viel dringender waren eine heiße Dusche und trockene Klamotten. Danach konnten wir reden. Darüber, dass zwischen

Weitere Kostenlose Bücher