Ruf der Drachen (German Edition)
eine Treppe hinunter und reihte mich in die Schlange der Wartenden ein. Verstohlen blickte ich mich um, auf der Suche nach dem Mann im Trenchcoat – doch wenn er hier war, dann wollte er offensichtlich nicht, dass ich es mitbekam. Ich konnte ihn nirgends entdecken. Dennoch fühlte ich mich beklommen und die Luft in der Halle schien von Minute zu Minute stickiger zu werden.
Dann, endlich, war ich an der Reihe. Ich trat an den Glaskasten und legte meinen Ausweis vor. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Absurde Gedanken jagten mir durch den Kopf: Was, wenn man mich nicht mehr ausreisen ließ? Wenn meine Untersuchung der Wasserspeier irgendeinem Verbot unterlag, weil diese ein Geheimnis enthielten, das nicht gelüftet werden durfte? Und was, wenn irgendjemand in der DDR ein Interesse daran hatte, mich genau davon abzuhalten – weil das Rätsel weitreichender war, als ich es mir bisher vorstellen konnte?
Der Grenzer schien ewig zu brauchen. In aller Seelenruhe studierte er meinen Pass. Mir brach der Schweiß aus und ich musste meine Hände in den Hosentaschen vergraben, um ihr Zittern zu verstecken.
Ruhig bleiben! Du hast nichts getan.
Als der Grenzer schließlich aufsah, traf mich ein so kalter Blick, dass mir ein Schauer über den Rücken jagte. »Jakob Roth«, sagte er und seine Stimme hatte einen schneidenden Unterton. »Jüdisch?«
Ich presste die Lippen aufeinander und nickte dann.
»Ja. Ich habe jüdische Wurzeln.«
Meine Kehle war wie zugeschnürt und für einen Augenblick glaubte ich, ein klein wenig des Entsetzens nachfühlen zu können, das meine Vorfahren im Dritten Reich erfasst haben musste. Es war diese diffuse, in keiner Weise greifbare Angst, die alles lähmte – Gedanken, Gefühle, Rationalität.
Diese Zeit war lange vorbei und jede Nervosität überflüssig – oder? Meinem Nervensystem war diese Gewissheit zumindest vollkommen gleichgültig. Vererbte sich Angst über Generationen? In Augenblicken wie diesem glaubte ich fest daran.
Ich starrte auf den Kragen des Grenzers, als könnte ich mich an der akkurat gebügelten Falte festhalten, und ballte die Hände in den Taschen vor Anspannung zu Fäusten. Der Mann musterte mich noch einen Moment prüfend, dann gab er mir den Pass zurück.
»Mein Großvater war auch Jude. Schönen Tag noch.«
Er winkte mich durch.
Mit zitternden Knien ging ich an der Filiale der Staatsbank der DDR vorbei, doch es kam mir nicht einmal in den Sinn, meine restlichen DDR-Mark gegen eine Quittung einzutauschen, die ich beim nächsten Besuch im Ostteil der Stadt hätte nutzen können. Ich hatte nicht vor, in nächster Zeit wiederzukommen. Im Gegenteil. Ich wollte so schnell wie möglich hier raus.
Weitergehen, vorbei am Zoll, erneute Passkontrolle. Alles schien sich immerwährend zu wiederholen. Wieder prüfende Blicke, ein weiteres Piepsen, als die Dokumente an eine Apparatur gehalten wurden, deren Sinn mir schleierhaft war, und ich erhielt meinen Ausweis ohne Kommentar zurück. Ein penetrantes Summen webte sich mir bis in die Knochen. Ich stemmte die Tür auf, trat hindurch. Laut klickend rastete das Schloss hinter mir ein.
Draußen. Und doch noch immer mitten in Berlin.
KAPITEL V
»Und? Wie war es?«
Noch bevor ich mich aus meiner Jacke geschält hatte, bombardierte Maren mich mit Fragen. Ihr Mandelaugenblick lag so gespannt auf mir, dass ich es als Vibration auf der Haut spürte.
Ich küsste sie auf den Mund, marschierte dann durch den langen Flur hinüber in Marens Zimmer und ließ mich seufzend auf die Matratze fallen.
»Was ist denn jetzt?«
Sie blieb im Türrahmen stehen und stemmte ungeduldig die Hände in die Seiten.
Ich musste grinsen. »Alles in Ordnung, ich lebe noch.«
»Das sehe ich. Und? Hast du die anderen Wasserspeier gefunden?«
Ich streifte die Schuhe von den Füßen und streckte mich gähnend aus.
»Können wir morgen darüber reden?«
»Oh nein!« Maren sprang neben mich auf das Bett und begann, mir mit den Fingern energisch in die Seiten zu pieksen. »Ich will alles wissen! Sofort! Du kannst mich doch hier nicht so dermaßen auf die Folter spannen!«
Lachend rollte ich mich zusammen, um mich vor der Attacke zu schützen.
»In Ordnung, ich rede! Unter einer Bedingung …«
Maren hielt inne. »Und die wäre?«
Ich stützte mich auf die Ellbogen. »Für jede Information, die ich liefere, bekomme ich einen Kuss.«
Maren verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. »Mindestens einen. Und wenn die Informationen interessant sind,
Weitere Kostenlose Bücher