Ruf der Drachen (German Edition)
in einem wenig vertrauenserweckenden Keller, der schalldichter wirkte als mir lieb war! Ich wusste noch immer nicht, was hier eigentlich vor sich ging. Und weder Mirellas Geheimnistuerei noch die merkwürdigen Beschriftungen einzelner Räume hatten dazu beigetragen, meine Bedenken zu zerstreuen.
»Darf ich vorstellen? Jakob Roth, einer der Anwärter«, sagte Gunnar Thiel in diesem Moment und deutete auf mich.
»Anwärter? Seit wann? Für was?«, rutschte es mir heraus. In meiner Stimme lag deutliche Panik.
Die Blicke beider Männer richteten sich auf mich und ich sah, dass der Unbekannte im weißen Kittel skeptisch die Brauen hob.
»Er weiß von nichts?«
Thiel schüttelte den Kopf. »Nein. Kümmerst du dich darum?«
Ein knappes Nicken, dann wurde ich am Arm gepackt und in den Raum gezogen. Bevor ich protestieren konnte, war die Tür auch schon wie das gierig schnappende Maul eines Raubtieres hinter mir ins Schloss gefallen. Ich umklammerte den Griff und versuchte, sie aufzuziehen, doch ganz offensichtlich hielt ein Mechanismus sie verschlossen. Mir brach kalter Schweiß aus.
»Hinsetzen!«, sagte der Unbekannte, ohne meinen Fluchtversuch auch nur im Geringsten zu beachten, und wies auf einen unbequem aussehenden Stuhl, der neben einer Liege stand.
Ich ließ mich darauf sinken. Meine Knie zitterten.
»Können Sie mir nicht einfach sagen, was hier los ist?«, fragte ich, während der Fremde zu einem Waschbecken ging und dann begann, sich die Hände zu waschen. Er reagierte nicht auf meine Frage.
Ich beobachtete, wie er sich mit einem Papiertuch abtrocknete und danach sorgfältig ein Desinfektionsmittel auf die Haut auftrug. Der beißende Geruch drang mir in die Nase, als er sich mir gegenüber auf einen Stuhl setzte und damit begann, einen Fragebogen auszufüllen.
»Jakob Roth heißen Sie? Roth mit th ?«
Ich nickte beklommen.
»Bitte, ich will doch nur wissen, was das ganze Theater eigentlich soll!«
»Theater«, brummte mein Gegenüber und mir fiel auf, dass ein feiner Akzent jedes seiner Worte einfärbte. »Ja, das trifft es gut. Vorerkrankungen?«
»Nicht, dass ich wüsste«, stotterte ich und ließ den Blick im Raum umherschweifen.
Die Deckenbeleuchtung, eine gelegentlich zuckend aufflackernde Neonröhre, tauchte die blassgrünen Kacheln an den Wänden in unwirklich steriles Licht. Doch auch die seltsamen Lichtverhältnisse konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Räume hier unten sehr alt sein mussten. Die Kacheln waren an einigen Stellen gesprungen oder ganz von der Wand gefallen, die Stühle quietschten bei jeder Bewegung und das weißliche Futter der Liege quoll an einer Ecke unter einem zerschlissenen Bezug hervor, als wäre es Zuckerwatte. Eine befremdliche Assoziation, die ich mir nicht erklären konnte.
War ich wirklich erst eine Stunde in diesem Gebäude? Plötzlich erschien es mir, als wären Jahrzehnte vergangen, und dieser Gedanke war beklemmend.
»Geburtsdatum?«
Ich schluckte.
»3. Juni 1968. Sie sind Engländer?«, versuchte ich dann vorsichtig ein Gespräch aufzunehmen.
Ein vernichtender Blick traf mich. »Nein.«
»Oh.« Ich schluckte.
Mein Gegenüber setzte ungerührt das Verhör fort.
»Sehen Sie Geister?«
Ich zuckte zusammen. »Wie bitte?«
Der Mann verzog keine Miene.
»Geister, Erscheinungen, Visionen, Astralwesen – ist Ihnen irgendetwas in der Art bekannt?«
»Ich … bin nicht sicher«, erwiderte ich und bereute es sofort, denn der Mann kreuzte »Ja« auf dem Fragebogen an.
»Was ist mit Stimmen? Nehmen Sie Stimmen wahr, obwohl niemand außer Ihnen im Raum ist?«
Ich neigte den Kopf.
»Selbst wenn es so wäre, dann würde ich es Ihnen wahrscheinlich nicht mitteilen, oder? Stimmen hören ist keine gute Sache, das dürften Sie als Mediziner wissen.«
Es sollte ein Witz sein, doch der Mann zuckte nicht einmal mit den Mundwinkeln.
»Was jetzt? Stimmen oder nicht?«
Ich schüttelte den Kopf und beobachtete, dass mein Gegenüber »Nein« auf dem Formular ankreuzte. Dann erhob er sich und zog eine Schublade auf.
»Frei machen.«
Mein Blick fiel auf ein ganzes Arsenal an steril abgepackten Spritzen und Kanülen.
»Wie bitte?« Ich sprang auf. Mein Herz geriet ins Stolpern. »Wenn Sie glauben, dass Sie irgendwas mit mir veranstalten
können, ohne dass ich auch nur erfahre, was hier los ist, dann …«
Geistesgegenwärtig schnappte ich mir eine Verbandsschere, die auf einem Tischchen lag, und hielt sie ihm drohend entgegen.
»Pfoten weg!«
Mein
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